"Bau der Kongresshalle Nürnberg"
Ein Bild von Ria Picco-Rückert

"Bau der Kongresshalle Nürnberg", Ölskizze von Ria Picco-Rückert, 1941. (DZO-0181)
Foto aus einer Baudokumentation der Kongresshalle, undatiert, wohl um 1941. (DZ-Ph 1181-17, Ausschnitt)Oskar Franz Schardt: Technik geformt von Kunst, in: Fränkische Tageszeitung 27.08.1938. (DZ-D 0392)Irma Bräunig: Ria Picco-Rückert persönlich..., in: Fränkische Tageszeitung 13.09.1941. (DZ-D 0393)Beschriftung "Wahnsinnsbau" auf der Rückseite des Bildes (DZO-0181)
Künstlerin:

Ria Picco-Rückert

Titel:

"Bau der Kongresshalle Nürnberg" (Beschriftung auf dem Hintergrundkarton)

Datierung:

1941

Beschreibung:

Ölskizze auf Papier, montiert auf braunem Karton, in stark beschädigtem Originalrahmen mit Glas

Maße:

33,5 cm breit, 25,5 cm hoch, 1 cm dick (mit Rahmen)

Sammlungsnummer:

DZO-0181

 

"Wahnsinnsbau" Kongresshalle – ein Bild der Malerin Ria Picco-Rückert

Im Bestand des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände befindet sich eine Ölskizze von Ria Picco-Rückert mit dem Titel "Bau der Kongresshalle Nürnberg" aus dem Jahr 1941. Für das Dokumentationszentrum ist dies in mehrfacher Hinsicht eine wichtige künstlerisch-dokumentarische Arbeit – nicht nur, weil in der Bildhälfte mittig der nie vollendete nördliche Kopfbau der Kongresshalle zu sehen ist, in dem sich das Dokumentationszentrum seit 2001 befindet.

In der vor allem von Männern geprägten Kunstszene der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Magdalena Maria Rückert (1900-1966) eine Ausnahmeerscheinung: Unter ihrem Künsterinnennamen Ria Picco-Rückert war die Malerin auch überregional ausgesprochen erfolgreich. Bekannt wurde Sie vor allem durch zahlreiche Ölgemälde von Autobahnbaustellen, Bergbaubetrieben, Gießereien, Hochöfen und anderen Industrieanlagen.

Ria Picco-Rückert – eine ungewöhnliche, nahezu bruchlose Karriere

Ria Rückert wuchs als eine von fünf Töchtern des Architekten und Lehrers an der städtischen Bauschule Peter Rückert und seiner Frau Frieda in Nürnberg auf. Sie studierte zunächst in Nürnberg (bei den Professoren Hermann Gradl, Max Körner, Else Jakolla und Karl Selzer), dann in Stuttgart und München und schließlich in Weimar, qualifizierte sich auch als Kunstpädagogin und arbeitete zunächst als Zeichenlehrerin. Ab Anfang der 1930er Jahre war sie als Künstlerin freischaffend auf dem Gebiet der Industriemalerei tätig. Zugang zu diesem, vor allem für eine Frau damals ungewöhnlichen Themenfeld, fand sie zunächst mit Arbeiten an der Maximilianshütte in Sulzbach-Rosenberg. Durch Vermittlung von Paul Reusch, dem Direktor der Gutehoffnungshütte in Oberhausen und einem Bekannten der Familie und, erhielt sie auch im Ruhrgebiet daraufhin eine ganze Reihe von Aufträgen.

Ab 1933 war sie mit dem aus Italien stammenden Fechtlehrer Alessandro Picco verheiratet und war mit ihrem Künstlerinnennamen Ria Picco-Rückert mit Gemälden der Baustellen der Reichsautobahn überregional in Ausstellungen vertreten. Sie arbeitete so durchaus auch im Sinne des nationalsozialistischen Regimes, trat allerdings erst 1939 der Reichskunstkammer bei – wohl auch, um an der Großen Deutschen Kunstausstellung in München teilnehmen zu können.

Dies bedeutete einen großen Schub in ihrer Karriere, denn die ab 1937 in München im Haus der Deutschen Kunst jährlich stattfindende Leitungsschau nationalsozialistischer Kunst entwickelte sich zur wichtigsten Ausstellung im damaligen Deutschland mit persönlichen Interesse Adolf Hitlers und der übrigen Führungsringe des Nationalsozialismus.

Die Internetplattform www.gdk-research.de liefert für die ab 1937 jährlich stattfindende Leistungsschau nationalsozialistischer Kunst für Ria Picco-Rückert 20 Treffer, allerdings erst für die Jahre ab 1941, nach ihrem Eintritt in die Reichskunstkammer. Mit Ölgemälden der Hermann-Göring-Werke in Salzgitter und anderen Industrieanlagen sowie mit vereinzelten Portraits und Gruppenszenen von Arbeitern war Ria Picco-Rückert bei den Großen Deutschen Kunstaustellungen im Haus der Deutschen Kunst in München eine sehr erfolgreiche Künstlerin. Wichtige Vertreter des Regimes wie Reichsluftfahrtminister Hermann Göring und Generalbauinspektor Albert Speer kauften Werke von ihr, die Preise bis zu 8000 Reichsmark erzielten. Propagandaminister Joseph Goebbels erwarb 1944 das Gemälde mit dem ideologisch angehauchten Titel "Vereinte Kraft", welches deutsche Arbeiter beim gemeinsamen Bewegen eines schweren Stahlträgers darstellte. Auch einzelne ihrer Bilder erhalten nun ideologischere Titel wie "Festungen der Arbeit".
www.gdk-research.de

Nach 1945 knüpfte Ria Picco-Rückert an ihre seit den 1930er Jahren eigentlich unveränderte künstlerische Arbeit an, und malte wiederrum für verschiedene Industriebetriebe. In Zeiten der sich entwickelnden abstrakten Malerei und anderer moderner Kunstrichtungen wirkte ihre Kunst nach 1945 aber zunehmend wie aus der Zeit gefallen.

Eine Frau malt Technik – Rechtfertigungen und Einordnungen in den 1930er Jahren

Schon die Tatsache, dass eine Künstlerin als freischaffende Malerin Erfolg hatte und nicht in Richtung Grafik oder Textilgestaltung abgedrängt wurde, war nicht alltäglich. Hinzu kam noch die Wahl des Themenfelds Technik und Industrie. Dies war gerade vor dem Hintergrund nationalsozialistischer Rollenzuschreibungen, welche die Frau eher als Hausfrau, Mutter und rassistisch als "Hüterin der Rasse" sah, absolut ungewöhnlich
(vgl. die Beiträge
Die "NS-Frauenwarte"
Propaganda im Stickmusterbuch)

Der schon vor 1933 politisch extrem rechts stehende Publizist Oscar Franz Schardt widmete 1938 der Kunst Ria Picco-Rückerts eine ganze Seite in der Fränkischen Tageszeitung, die Julius Streicher gehörte und eine stramm nationalsozialistische Richtung vertrat. Eigentlich sei, so glaubte Schardt, eine Frau nicht in der Lage, technische Konstruktionen zu erfassen, "weil sie zunächst dem Technischen und den schwierigen Aufrissen wie der Silhouette eines Werkes, das seine eigenen Gesetze hat, vollkommen fernsteht." Aber schon Picco-Rückerts Frühwerk aus einem Würzburger Industrieviertel sei "überraschend stark und sicher" ausgefallen und so eine Lebensaufgabe gesetzt worden – das "Werkbild" und damit "der heiße Atem der Gegenwart der Schaffenden".

1941 gelang Ria Picco-Rückert mit einer großen Einzelausstellung des Albrecht-Dürer-Vereins in der Fränkischen Galerie (heute: Kunsthalle Nürnberg) auch vor Ort der Durchbruch. In ihrer Eröffnungsrede sagte sie unter anderem:
"Ich habe mich der Schönheit der Technik verschrieben, jawohl der Schönheit, auch wenn so Vielen das Nüchtern-Sachliche im Vordergrund dieser Dinge zu stehen scheint. (...) Wie kann man nun zu einem Bilde ja sagen, dessen Welt einem fremd ist und zu der man keine Beziehungen hat und findet? Da gehört dann ein Befassen mit dem Bilde dazu und ich freue mich sagen zu können, dass ich schon viele überzeugen durfte davon, dass eben in diesen Dingen das Nüchtern-Sachliche von mir gar nicht empfunden wird, sondern dass es ganz andere Dinge sind, die mich dazu treiben, die Maschine wiederzugeben. (...) Je kleiner ich mir im tosenden Getriebe meiner Hochöfen und Maschinen vorkommen kann, desto besser werden meine Bilder. (...) Vielleicht empfindet der Arbeiter, der neben meiner Zeichnung steht und ohne Problematik an sie herangeht, deshalb so stark das, was ich sagen will und hängt an meiner Arbeit, weil er eben die Welt darin erkennt, in der er lebt, ich meine nicht nur die Welt, die mit Worten festzulegen ist. Ich habe in all den Jahren nichts Anderes tun wollen, als diese Welt zu verherrlichen."
(Ollinger 2007)

Dass Technik als Teil der modernen Welt auch Thema der künstlerischen Auseinandersetzung sein konnte, musste Picco-Rückert 1941 noch wortreich rechtfertigen – ebenso ihre Rolle als Künstlerin., Sie sagte dazu:
"Wenn ich damit der Verehrung der Arbeit des Mannes Ausdruck gab, so möchte ich damit gar nicht als vermännlicht gelten. Ich freue mich, wenn es mir gelingt, diese männliche Arbeit in großen Zügen — wie es ihr gebührt — festzuhalten, aber ich bleibe die Frau, die nur ihrer Bewunderung Ausdruck verleiht."
(Ollinger 2007)

Ein derartiges öffentliches Bekenntnis der Bewunderung männlicher Arbeit war 1941 bei der Eröffnung der Ausstellung einer Künstlerin offenbar noch unverzichtbar. Dies wird auch in der kleinen Homestory deutlich, welche die Fränkische Tageszeitung zum Ende der Ausstellung am 13. Oktober 1941 unter dem Titel "Ria Picco-Rückert persönlich…" veröffentlichte. Auch hier wird von der Journalistin Irma Bräunig die "frauliche Wärme" der Künstlerin betont, obwohl sie sich "der Schönheit der Technik verschrieben" habe.

 

 

"Bau der Kongresshalle Nürnberg" – was ein Bild von 1941 erzählt

In der Nürnberger "Ausstellung von Werken der Industriemalerin Ria Picco-Rückert" des Jahres 1941 waren 89 Ölgemälde, Zeichnungen und Aquarelle in der Fränkischen Galerie am Marientor zu sehen. Zwei davon zeigten die Kongresshalle 1937 im Bau. Der Journalist Oscar Franz Schardt hatte dazu bereits 1938 geschrieben: "Im Reichsparteitagsgelände erwuchsen mehrere Bilder von der gewaltigen Wucht des Kongressbaues, die festhalten, wie der Künstler unserer Zeit dieses Emporsteigen des bisher größten Baus der Welt erlebt." (Schardt 1938)

Das Bild aus dem Bestand des Dokumentationszentrums ist im Katalog nicht genannt, obwohl es 1941 entstand, vielleicht sogar mit Blick auf die Nürnberger Ausstellung im gleichen Jahr. Man kann nur Vermutungen darüber anstellen, warum es nicht in die Schau aufgenommen wurde: Das Blatt zeigt ein erstarrtes Bauprojekt. Nur auf dem Dach des unfertigen Riesengebäudes sind einige wenige Arbeiter zu erkennen. Im Unterschied zu ihren Industriebildern spürt man nichts von der Arbeit, vom Dampf und dem Getöse, von der Bewegung von Schienenfahrzeugen.

1941 steht, dies ist auch auf einem Foto im Bestand des Dokumentationszentrums zu erkennen, ein gigantisches Baugerüst innen und außen am Gebäude mehr oder weniger funktionslos da. Man versuchte zwar im zweiten Jahr des Weltkriegs 1941 noch einmal mit Zwangsarbeitern die Baustelle Kongresshalle wiederzubeleben, aber es blieb bei der Einstellung des Baus. Das Gerüst umgab auch 1945 noch das Gebäude und war so Zeugnis des gescheiterten Bauprojekts Kongressbau – ebenso wie der unvollendete Innenhof der Kongresshalle, der im Mai 2023, über 80 Jahre nach der Entstehung des Bildes, noch in etwa so aussieht, wie auf dem Gemälde von Ria Picco-Rückert.

Auch wegen des vergleichsweise späten Zeitpunkts der Entstehung handelt sich bei dem Blatt von Ria Picco-Rückert um ein wichtiges künstlerisches Dokument des Bauprojekts Reichsparteitagsgelände. Mitte bis Ende der 1930er Jahre haben eine ganze Reihe anderer Künstler wie die Nürnberger Max Körner und Hermann Tobias Schmidt sowie der wichtigste Maler der Reichsautobahn Ernst Vollbehr auf der Baustelle des Reichsparteitagsgeländes gemalt. Sie alle hatten, wie auch Ria Picco-Rückert selbst im Jahr 1937, die Dynamik und die enorme Veränderung auf dem Reichsparteitagsgelände festhalten wollen. Davon war 1941 nichts mehr zu spüren. Auf dem Bild von Ria Picco-Rückert von 1941 sind viele unverbaute Granitblöcke um das Gebäude aufgestapelt, die teils schon 1939 dort lagen.

Das Blatt von 1941 ist die einzige künstlerische Arbeit im Bestand des Dokumentationszentrums, welche nach der (schließlich endgültigen) Einstellung der Bauarbeiten auf dem Reichsparteitagsgelände entstanden ist. Die Künstlerin stand beim Malen auf dem Dach eines großen Modellsegments, welches auf dem heutigen Volksfestplatz neben der Baustelle Kongresshalle stand. Dieses aus Holz gefertigte gigantische Modell im Maßstab 1:1 sollte als Teil der nationalsozialistischen Propaganda das noch nicht fertig gestellte Gebäude für die Öffentlichkeit simulieren. Eine fotografische Dokumentation der Bauarbeiten, vom selben Standpunkt aus aufgenommen wie das Gemälde von Picco-Rückert, bricht 1939 ab und endet mit zwei letzten Aufnahmen Anfang der 1940er Jahre. Fotograf und Künstlerin haben danach in dem stillgelegten Gebäude wohl kein lohnendes Motiv mehr gesehen.

"Wahnsinnsbau"

Nach 1945 hat jemand auf der Rückseite des Bildes von Ria Picco-Rückert "Bau der Kongresshalle Nürnberg" mit Bleistift lakonisch notiert: "Wahnsinnsbau". Dies ist auch aus heutiger Sicht eine zutreffende Beschreibung: Seit 1945 müht sich die Stadt Nürnberg, mit diesem Bautorso umzugehen und sinnvolle Nutzungen zu finden – eine davon ist das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in einem kleinen Teil des Baukörpers. Große Projekte für den Bau insgesamt wie der Einbau eines Fußballstadions oder eines Einkaufscenters sind in den 1960er und 1980er Jahren gescheitert. Allein auf Grund der monumentalen Dimensionen des vorhandenen Baukörpers bleibt der "Wahnsinnsbau" Kongresshalle auch für zukünftige (kulturelle) Nutzungen eine große Herausforderung.

Zum Weiterlesen:

Andrea Dippel/Alexander Steinmüller: Ria Picco-Rückert. Eine Karriere ohne Brüche, in: Andrea Dippel (Hg.): Grauzonen. Nürnberger Künstler:innen im Nationalsozialismus, Nürnberg 2022, S. 250-257

Quellen:

Oscar Franz Schardt: Technik geformt von Kunst. Das Schaffen der Nürnberger Kunstmalerin Ria Picco-Rückert, in: Fränkische Tageszeitung 27.08.1938

Albrecht-Dürer-Verein: Ausstellung von Werken der Industriemalerin Ria Picco-Rückert. Stadt der Reichsparteitage Nürnberg in der Fränkischen Galerie am Marientor, 16. Aug.-14.Sept. 1941, Nürnberg 1941 (Ausstellungskatalog)

Klaus Ollinger: Kohle und Stahl. Leben und Werk der Industriemalerin Ria Picco-Rückert, Püttlingen 2007 (S. 134 Auszüge der Rede Picco-Rückerts zur Ausstellungseröffnung 1941)


Reihe "Ans Licht geholt – aus der Sammlung des Dokumentationszentrums"

Text und Recherche: Alexander Schmidt
07.06.2023
Textlizenz: CC BY SA 4.0
© Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

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