- Objekt:
vierteilige, filetgehäkelte Wäscheschrankborte mit Spitzen-Abschluss; Ornamente und Schriftzug in Kreuzstich mit zwei roten Garnen ausgeführt. "Geblüht im Sonnenwinde/ Gebleicht auf grüner Au/ Liegt weiss es jetzt im Spinde/ Als Stolz der deutschen Frau"
- Produzent:
Eigenproduktion der Schwestern Ingwersen aus Skibelund, Nordschleswig
- Material:
Leinengarn und hell- und dunkelrotes Stickgarn
- Maße:
6 cm hoch und 90 cm lang
- Datierung:
vermutlich 1940er Jahre
- Sammlungsnummer:
DZO-0179
Alltagsgegenstände in der Sammlung des Dokumentationszentrums
Nie konnte für die Sammlung des Dokumentationszentrums ein Zuwachs verzeichnet werden wie in den letzten beiden Jahren. Es kann nur vermutet werden, dass Corona und Homeoffice mehr Zeit und Muße für das Sichten von Erbstücken der NS-Zeitzeugengeneration ließen. Die Schenkungen zeigen, dass das Museum 20 Jahre nach seiner Gründung als Haus mit eigener Sammlung und einer der zentralen Orte für die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur wahrgenommen wird.
Viele der uns überlassenen Objekte sind nicht etwa nur Orden und Uniformen, sondern vermehrt Alltagsgegenstände. Bei denen ist oft erst auf den zweiten Blick der Einfluss von Staat und Ideologie erkennbar. Was Tischdecken, Kinderspiele und Porzellan interessant macht: Sie rücken den Alltag der Frauen und Mütter und deren Aufgaben innerhalb der "Volksgemeinschaft" in den Blick. Durch sie lassen sich Kenntnisse über subtile Strategien zur Politisierung des Privaten und die Einflussnahme von Partei und Staat auf die familiäre Sphäre gewinnen. Die verschiedenen Facetten weiblicher Lebenswirklichkeit zwischen 1933 und 1945 werden wir anhand von Sammlungsneuzugängen in mehreren Beiträgen beleuchten.
Nationalismus im Wäscheschrank
Im Juli 2021 wurde uns das vierteilige bestickte Bänder-Set aus dem Nachlass der Schwestern Dorothea und Erika Ingwersen, die in den 1940er Jahren im nordschleswigschen Skibelund den Handarbeitsunterricht besuchten, zugeschickt. Der auf den Wäschebändern aufgebrachte rote Schriftzug "Geblüht im Sommerwinde/ Gebleicht auf grüner Au/ Liegt still es nun im Spinde/ Als Stolz der deutschen Frau" erinnert zunächst einmal daran, dass das Leinen für Tisch-, Bett- und Leibwäsche noch im 19. Jahrhundert aus heimischem Flachs hergestellt wurde. Die wertvolle Wäsche-Grundausstattung für die Familie, häufig mit dem Monogramm der Besitzerin und weiteren Schmuckelementen bestickt, brachten junge Frauen aus dem Bürgertum, aber auch aus ländlichen Haushalten, als Aussteuer mit in die Ehe. Aufbewahrt wurde dieser Schatz, der oft ein Leben lang halten musste, in einer Wäschetruhe oder einem Wäscheschrank, dessen Fächer mit einem Tuch ausgelegt waren, das vorne etwas überhing und mit eben diesen bestickten Bändern abschloss.
Die Hervorhebung des "Deutschen" im Spruch, der schon aus der Zeit der Reichsgründung 1871 stammen könnte und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einer der beliebtesten war, muss nicht zwingend für eine nationalsozialistische Gesinnung der Handarbeitenden oder ihres schulischen beziehungsweise familiären Umfelds stehen. Er kann im umstrittenen Grenzgebiet zwischen dänischem und schleswigschem Einfluss, in dem die Schwestern aufwuchsen, ganz grundsätzlich ein Statement für die Zugehörigkeit zu deutschem Staatsgebiet gewesen sein oder einfach die Übernahme einer gebräuchlichen Vorlage.
Handarbeiten als Erziehungs- und Propagandainstrument
Um weibliche Stickarbeit mit erkennbarem Bezug zur NS-Ideologie handelt es sich dagegen bei der zweiten Schenkung, die den Stickerinnen der Wäscheschrankborten durchaus als Inspiration gedient haben könnte. Schon im April 2021 hatte uns aus Berlin eine nicht ganz vollständige Ausgabe der "Gestickte[n] Sinnbilder. Eine Sammlung deutscher Sinnbilder für Kreuzstickerei, bearbeitet von Christel Wöhrlin" erreicht (DZO-0179). In der kompletten Version besteht die Publikation aus vier verschiedenfarbigen Kartonflügel-Mappen mit Stickvorlagen zu den Themen "Lebensbaum", "Lebenstiere", "Mensch und Menschenwerk" und "Sonne und Gestirne". Die Kladden erschienen um 1935 im Münchner Verlag der NS-Frauenwarte. Als Herausgeber fungierte der ehemalige Bauhaus-Schüler, Zeichner und seit 1934 NS-Fachberater für Kunsterziehung, Hans-Friedrich Geist zusammen mit Ellen Semmelroth. Sie war Mitglied der Reichsleitung der NS-Frauenschaft und Hauptschriftleiterin der "einzigen parteiamtlichen" Frauen-Zeitschrift, der "NS-Frauenwarte".
Hefte der Zeitschrift "NS-Frauenwarte" im Bestand des Dokumentationszentrums
Den Stickmustern vorangestellt ist in jeder Mappe eine identische Einführung zur Bedeutung der Sinnbilder, bei denen es, so die Herausgeber, nicht einfach um die naturgetreue Nachbildung von Bäumen, Sternen oder einem Weinstock gehe. Stattdessen werden Tiere zu "Lebenstieren" stilisiert. Hirsche am Lebensbaum werden als "Sinnbild des Adels und der Kraft" aufgewertet, Pferde für "Ritterlichkeit, Treue, Mut und Pflicht" eingespannt und mit dem aufsteigenden Adler "steigt auch das Reich der Deutschen empor". Dass vor allem die in der Mappe "Sonne und Gestirne" vorgestellten Motive und Deutungen wie Hakenkreuz ("bezeichnet den vierteiligen Jahreskreislauf und ist das Sinnbild der deutschen Freiheit"), Sechsstern ("Sinnbild des wiederkehrenden Lichtes") oder Thors Hammer ("Sinnbild männlicher Fruchtbarkeit"), die als althergebracht und allgemeingültig gerühmt werden, in der Bevölkerung zumal in Süddeutschland aber erst bekanntgemacht werden mussten, darauf lassen die teils ausführlichen Bildunterschriften schließen. Inwieweit diese Sinnbilder in den kollektiven Motivkanon der häuslichen oder auch industriell gefertigten Handarbeiten eingingen, lässt sich nicht bewerten. Das "Dritte Reich" definitiv überdauert haben allerdings der Schornsteinfeger und das Hufeisen aus der Mappe "Mensch und Menschenwerk" als Symbole des Glücks.
Der Einführung folgen ein kurzer Abschnitt zum Kreuzstich, der für das Näherlebnis der wertegebundenen Stickerei ganz besonders geeignet sei, sowie Hinweise zur "Verwendung" der Mappen. Die bestanden im Wesentlichen aus der Ermunterung, die Vorlagen selbständig abzuändern, je nachdem, ob eine Tischdecke, ein Wäscheband oder ein Kleidersaum zu verzieren sei. Programmatisch aufschlussreich hieß es "Vielfältigkeit in Einheit muss unser Ziel sein."
Eine weitere Beilage präsentierte Fotografien mit Praxisbeispielen, die vermutlich Leserinnen der Zeitschrift "NS-Frauenwarte" eingeschickt hatten. Ein Fräulein Keyner aus Malente hatte z.B. nach eigenen Motiven einen Kindervorhang bestickt, Frau Schniggensittig aus Halle eine Tischdecke und Fräulein Reuter aus Schweinfurt ein Lesezeichen mit Lebensbaum. Auf einem anderen Foto stickten Mädchen eifrig am Saum eines Wandteppichs mit einem Rand aus Hakenkreuzen. Damit wurden die großen und kleinen Leserinnen der "Frauenwarte" und Käuferinnen der Mappen bei aller postulierten mythologisch-ideologischen Festlegung der Motive mit hineingenommen in den Gestaltungsprozess und gestärkt. Ihnen wurde ein Mitwirkungsangebot gemacht und ein Podium für ihre Arbeiten geboten - eine häufig im NS eingesetzte Strategie, um Frauen auf Umwegen für die politische Zielsetzung zu interessieren.
Die Frau "als Schöpferin häuslich-gebundener Werte"
Auch wenn im Dokumentationszentrum nur eine der Mappen vollständig vorliegt, lassen sich weitere Bezüge zur nationalsozialistischen Blut- und Boden-Ideologie und zu der daraus abgeleiteten Rolle der Frauen als Hüterinnen der rassepolitischen Ziele finden, auch wenn sie vielfach buchstäblich durch die (Motiv-)Blume ausgedrückt werden.
Adressiert wurden die Mappen in der Einführung und vor allem durch die Stickmuster der Mappe "Mensch und Menschenwerk" mit ihren zahlreichen Visualisierungen von Leben, Mutterschaft, Fruchtbarkeit und Ernte eindeutig an die Frau "als Schöpferin häuslich-gebundener Werte". Die versammelten Sinnbilder sollten "eine Glaubenswelt sichtbar und wirksam werden lassen, die Kinder und Kindeskinder zu einer gleichen Einordnung ihres Lebens in ewige Zusammenhänge" lenkt, also in einer bestimmten Richtung erzog. Die nordisch-germanische Licht- und Sonnenmythologie von Mappe 4 "Sonne und Gestirne" wird jedoch nicht direkt aufgegriffen und auch der Bezug der Swastika-Motive in mehreren Mappen zur aktuellen Politik bliebt im Vorwort unerwähnt, als wolle man die Zielgruppe nicht mit zu viel "Partei-Bezug" verschrecken. Stattdessen wird gefühlig geraunt von Melodien "aus längst vergangenen Tagen", "der alten Wahrheit" und einer "uns blutsmäßig zugehörigen Sprache", die über die "Kette der Ahnen" seit dem Bauernkrieg überliefert worden seien.
Wahre und falsche Volkskunst
Die Sinnbilder werden als "echte" und "wahre Volkskunst" der als schick geltenden, aber über bloße "Dekoration" nicht hinausgehenden Massenware aus "Hundestillleben, Badeszenen, Schloßruinen oder jungfräuliche(n) Träume(n)" gegenübergestellt. Diese fertigen Stickbilder aus dem Warenhaus, die bloß noch aufgebügelt werden müssten, werden als "dumm und bedeutungslos" abgekanzelt. Die handgemachten "Sinnbilder" dagegen sollten als Neubearbeitungen alter Zeichen "an jenen ewigen Urgrund mahnen, dem wir alle entstammen: an die große Gemeinschaft des Blutes". Ihr Wiederauferstehen markiere das Ende der "geschmacklich-überfeinerten Schicht", die für "absolute Formen", "reine Dekors" und "edle Materialwirkungen warb". Damit dürfte die Abkehr einer von modernen, auch vom Bauhaus mit seiner als allgemeingültig propagierten Formensprache und Materialität, die dem Herausgeber Geist als ehemaligem Meisterschüler von Paul Klee bekannt war, genauso gemeint gewesen sein, wie die Kritik an den Warenhäusern, die vielerorts jüdischen Familien gehörten.
Am Ende folgt ein Ausblick auf glorreiche Zeiten, zu denen auch die beschriebenen Handarbeiten und ihre Schöpferinnen einen Beitrag leisten könnten: Denn es "bedarf der Zeichen und Bilder, um Schutz und Segen auszustrahlen (...). Eingestickt in die Gewebe für täglichen oder festlichen Gebrauch stehen sie als Sinnbilder im Dienste seelischer und geistiger Erhebung. (…), zu der jeder in seiner Art und nach dem Maß seiner Kraft, zur Erfüllung unserer besonderen Aufgabe im Dasein der Völker" beitragen könne. Mit anderen Worten: Die Tischdecke, die mit den Soldaten samt Hakenkreuz-Fahne aus "Mensch und Menschenwerk" bestickt war, warb jeden Tag beim Mittagessen für die NSDAP und ihr zentrales Symbol - und wurde damit selbstverständlicher Bestandteil des familiären Alltags.
Neuauflage in den 2000er Jahren: Das Hakenkreuz wird amputiert
Dass die "Gestickten Sinnbilder" der 1930er Jahre mit ihrer hinter blumigen Formulierungen und nordisch-germanischer Symbolik versteckten politischen Botschaften, zu der ein traditionelles Frauenbild gehörte, in vielen Haushalten als Vorlagen geschätzt und verwendet wurden, darauf lassen die zahlreich in Internet-Antiquariaten angebotenen Exemplare schließen. Neugierig aber macht eine ebenfalls angebotene und überarbeitete Neuauflage, die der im Schleswig-Holsteinischen Raisdorf beheimatete Kinderland-Verlag 2004 herausgebracht hatte. Hans-Friedrich Geist, der nach dem Krieg als geschätzter Vorsitzender des Lübecker Kunstvereins arbeitete und 1978 verstorben war, firmiert auf dem Titel als alleiniger Herausgeber, die ehemalige Chefin der "NS-Frauenwarte", Ellen Semmelroth, taucht nur versteckt im Innentitel auf. Im Vorwort, der nach wie vor in Fraktur gedruckten broschierten Publikation, die alle Mappeninhalte in sich vereint, wurde aus "blutsgemäß" "artgemäß". Die Kritik an den Dekors und der Massenware aus den Warenhäusern, die als Konsumkritik hätte durchaus neu aufgegriffen werden können, wurde ohne antisemitische Handhabe abgemildert in "Es ist der Gedanke verbreitet, die sinnbildlichen Stickereien als altmodischen Kram ablehnen zu können (...)", um nur einige der wenigen Anpassungen hin zu einem weniger bluttriefenden Text zu nennen.
Spannend wurde es bei den Stickmustern, bei denen allzu offensichtliche Hakenkreuze durch Wegnahme einiger Arme förmlich amputiert oder zur Othala-Rune (s. Abb.) umgeformt wurden und so weiter über Bauernhäusern thronten. Im "Dritten Reich" wurden mit ihr die "Erbhöfe" gekennzeichnet und in der Neonazi-Szene wird sie heute für Ahnen, Besitz, Erbe und Blutlinie verwendet. Auf der Fahne des Soldaten (Mensch und Menschenwerk, S. 65) oder im Sonnenrad (Gestirne, S. 77) wurde auf eine Tilgung des verfassungsfeindlichen Symbols sogar ganz verzichtet und nur die dezidierte Nennung in der Bildunterschrift weggelassen.
Dass die im Hinblick auf die NS-Ideologie bewusst nicht grundlegend überarbeitete Publikation kritisch rezipiert wurde, ist nicht bekannt. In den Kundenrezensionen eines bekannten Internethändlers werden dagegen Naivität und Gemüt der Sinnbilder von passionierten Stickerinnen gelobt mit Kommentaren wie diesem von 2011: "Diese Sammlung deutscher Sinnbilder für Kreuzstichstickerei ist ein wahrer Schatz! Kaum zu glauben, dass es so etwas überhaupt noch zu kaufen gibt. Fragt sich allerdings, wie lange noch. Mein Herz ist hocherfreut!"
Weiterlesen, Weiterforschen:
Gillmeister-Geisenhof, Evelyn: "Millionen von Stichen hab` ich wohl gemacht...". Alte Handarbeitsmuster und –techniken aus Mittelfranken, Teil I und 4, Bad Windsheim 2007 (Schriftenreihe der Trachtenforschungs- und beratungsstelle Bezirk Mittelfranken, Bd. 7.1 und 7.4)
Sybille Steinbacher: Differenz der Geschlechter? Chancen und Schranken für "Volksgenossinnen", in: Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus, hrsg. v. Frank Bajohr / Michael Wildt, Frankfurt 2009, S. 94–104
Martin Wendl / Detlef Marschall: Spaß am Sammeln. Urgroßmutters Leib- und Küchenwäsche, Köln 1985
Reihe "Ans Licht geholt – aus der Sammlung des Dokumentationszentrums"
Text und Recherche: Daniela Harbeck-Barthel
29.03.2022
Danke an Karin Weber von der Trachtenforschungs- und Beratungsstelle Mittelfranken für die freundliche Auskunft!
Textlizenz: CC BY SA 4.0
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