Vom 20. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946 fand in Nürnberg der "Hauptkriegsverbrecherprozess" vor dem Internationalen Militärgerichtshof statt. Mit diesem Prozess erlangte der Schwurgerichtssaal des Nürnberger Justizpalastes weltweite Berühmtheit. Von 1946-49 fanden am gleichen Ort zwölf "Nachfolgeprozesse" vor ausschließlich amerikanischen Militärtribunalen statt. Ursprünglich war der Saal 1916 als ein Schwurgerichtssaal nach den damals gültigen Verfahrensvorschriften und dem Gerichtsverfassungsgesetz eröffnet worden.
Der Saal war zwar mit ca. 260 qm räumlich groß, genügte aber den umfangreichen Ansprüchen der Alliierten aber trotzdem noch nicht. Abgesehen von den großen Anklagedelegationen sowie den vielen Verteidigern der 21 Angeklagten ergaben sich noch durch weitere Anforderungen Herausforderungen an den Saal, die erst nach umfangreichen Umbauarbeiten gelöst werden konnten. Diese gewährleisteten zwei weitere wichtige Aspekte: die viersprachige Durchführung des Prozesses sowie die weilweite Berichterstattung über ihn in den Leitmedien Print, Rundfunk und Film.
Hierfür wurde der Saal nicht nur mittels eines Mauerdurchbruchs um eine Pressetribüne sowie einen Zuschauerbalkon erweitert, sondern auch mit umfangreicher Medien-, Licht- und Klimatechnik ausgestattet. Außerdem erhielt er ein neues Mobiliar und die Prozessbeteiligten wurden anders im Raum platziert.
Aus diesen Umbauten und dem Umstand, dass sie 1961, nach der Rückgabe an die Nürnberger Justiz, wieder weitgehend rückgängig gemacht wurden, ergibt sich heute ein erheblich anderer Eindruck von dem Saal als aus den historischen Film- und Fotodokumenten.
Warum Nürnberg? – Die Wahl des Ortes
Zur Wahl Nürnbergs als Verhandlungsort für die historischen Prozesse trugen verschiedene Aspekte bei. Zunächst musste eine politische Einigung zwischen den USA und der Sowjetunion gefunden werden, die sich beide für einen Prozess in ihrer Besatzungszone aussprachen. Der permanente Sitz des eigens gegründeten Internationalen Militärgerichtshofs wurde in Berlin unter sowjetischen Vorsitz eingerichtet. Das erste von ursprünglich mehreren geplanten Verfahren sollte jedoch in der amerikanischen Besatzungszone durchgeführt werden, wofür dort der geeignete Ort gefunden werden musste.
Die Entscheidung fiel im August 1945 auf der Londoner Konferenz durch die Alliierten und für sie gab es vor allem infrastrukturelle Gründe. Der kaum beschädigte Justizpalast an der Fürther Straße bot ausreichend Platz für das zahlreiche Personal aus vier Nationen. Das nördlich unmittelbar angrenzende Gefängnis vereinfachte die Unterbringung und den Schutz der Gefangenen. Nürnbergs historische Rolle als "Stadt der Reichsparteitage" und als Verkündungsort der "Rassengesetze" war zwar nicht für die Wahl als Gerichtsort ausschlaggebend, verlieh ihm aber eine besondere symbolische Bedeutung.
Für den Prozess wurde daher eigens ein hölzerner Verbindungsgang zwischen dem Zellengefängnis und dem Ostbau des Justizpalastes, in dem sich der historische Saal 600 bis heute befindet, errichtet. Dieser ermöglichte eine sichere Überführung der Gefangenen von ihrer Zelle direkt in den Gerichtssaal. Zudem wurde das Gelände rund um den Gebäudekomplex weiträumig abgesichert.
Der Umbau des Saals 600 für die Nürnberger Prozesse
Für den Prozess gegen die "Hauptkriegsverbrecher" wurden große bauliche Veränderungen am Sitzungssaal 600 vorgenommen. Die Richterbank wurde um 90 Grad gedreht und befand sich nun vor den Fenstern, die Anklagebank wurde vergrößert. Die größte bauliche Veränderung an dem rundum holzvertäfelten Saal stellte jedoch die Vergrößerung des Zuschauerraums dar. Die Rückwand wurde größtenteils herausgenommen und der untere Bereich als Pressetribüne mit 235 Plätzen erweitert. Gleichzeitig wurde ein Balkon eingezogen, auf dem weitere 128 Besucher Platz fanden. Dieser Balkon schob sich an der Stelle in den Dachraum, an der heute vier Fenster in der Ausstellung einen Blick von oben in den Schwurgerichtssaal ermöglichen.
Neben der Neuanordnung der Prozessparteien, einem neuen Mobiliar sowie der Vergrößerung des Grundrisses waren aber auch umfangreiche technische Einbauten nötig, um den Saal für den internationalen Prozess zu ertüchtigen. Dazu gehörte auch eine Anlage der Firma IBM, die eine Simultan-Übersetzung der laufenden Verhandlungen in vier Sprachen ermöglichte. Diese Anlage leitete das Tonsignal von drei bisweilen vier Mikrofonpositionen zu einer mit zwölf Dolmetscherinnen und Dolmetschern besetzten Übersetzersektion in einer Ecke hinter der Anklagebank weiter. Von dort wurde dann das Signal mit den Übersetzungen wiederum an alle mehr als 400 Plätze im Saal weitergeleitet, von wo aus es dann mit Kopfhörern empfangen werden konnte. Jeder dieser Kopfhörer verfügte über einen Wahlschalter, mit dem man entweder (4 Schalterpositionen) in einer der Prozesssprachen (Englisch, Deutsch, Französisch oder Russisch), oder (5. Schalterposition) dem zwar verstärkten aber nicht übersetzten Tonsignal von einem der drei bzw. vier Mikrofonpositionen (Rednerpult für Anklage oder Verteidigung, Richtertisch, Zeugenstuhl oder Anklagebank) folgen konnte.
An verschiedenen Stellen wurden Fenster in die Wände des Saales eingebaut, durch die Film- und Fotoaufnahmen vom Prozessgeschehen gemacht wurden und direkte Rundfunkberichterstattung möglich war. Außerdem war das Vorführen von Filmdokumenten möglich. Hierfür gab es eine Vorrichtung für die Leinwand an der Stirnseite des Saals neben dem Zeugenstand. Über die IBM-Anlage wurde zudem ein Tonprotokoll vom Prozess erstellt, das noch heute zugänglich ist.
Die Nutzung nach 1945
Bereits am 9. Dezember 1946 wurde mit dem "Ärzteprozess" der erste der sogenannten Nürnberger Nachfolgeprozesse im Saal 600 eröffnet. Bis 1949 wurden hier und in anderen Verhandlungssälen des Nürnberger Justizgebäudes insgesamt 12 Verfahren vor amerikanischen Militärgerichten verhandelt.
Aber auch nach Abschluss dieser Prozesse verblieb das Gebäude in amerikanischer Nutzung und wurde im Verlauf der nächsten 20 Jahre schrittweise zurückgegeben. Nach seiner Nutzung für die 13 Nürnberger Prozesse diente der Saal noch dem Court of Restitution Appeals als Verhandlungsort. Vor diesem Gericht konnten Rückerstattungen in einer Berufungsinstanz erwirkt werden. Der Saal diente somit nach der strafrechtlichen Aufarbeitung von Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland auch der zivilrechtlichen Wiedergutmachung von materiellen Schäden, die durch das Regime verursacht worden waren.
Der Schwurgerichtssaal wurde am 30. Juni 1961 offiziell an die Bayerischen Justizbehörden übergeben. Noch im gleichen Jahr erfolgte eine umfassende Baumaßnahme, mit der die Umbauten der Amerikaner rückgängig gemacht wurden. Dazu zählt auch eine neue Möblierung.
Erstmals im Mai 2000 boten die Museen der Stadt Nürnberg an Wochenenden öffentliche Führungen in dem historischen Saal 600 an, die Jahr für Jahr mehr Besucherinnen und Besucher anzogen. Deutlich wurde, dass ein eigener dauerhafter Erinnerungsort für das große öffentliche Interesse nötig würde. Die Einrichtung der Dauerausstellung des Memoriums Nürnberger Prozesse wurde möglich, weil bislang ungenutzte Flächen im Dachgeschoss umgebaut werden konnten. Seit dem 20. November 2010 ist das Memorium fester Bestandteil der Museumslandschaft Nürnbergs.
Bis März 2020 war der Saal durchgängig ein Ort deutscher Rechtsprechung und konnte deswegen nur eingeschränkt besichtigt werden. Seitdem wird der Saal 600 nicht mehr für Gerichtsverhandlungen genutzt und ist zum ersten Mal in seiner über einhundertjährigen Geschichte kein Ort der Rechtsprechung mehr. Somit hat sich der berühmte Sitzungssaal zum Erinnerungsort gewandelt.