Der Düsseldorfer Majdanek-Prozess, 1975 bis 1981

Proteste vor dem Land- und Amtsgericht Düsseldorf nach der Urteilsverkündung im Ma-jdanek-Prozess. Bildnachweis: Ullstein Bild 02505002, Foto: Klaus Rose

Von 1975 bis 1981 dauerte einer der längsten Strafprozess der bundesrepublikanischen Rechtsgeschichte. Die Ermittlungen dazu hatten bereits 1961 eingesetzt. Es wurden sechs Aufseherinnen, ein Lagerarzt sowie neun Mitglieder der SS-Wachmannschaft des Konzentrationslagers Lublin-Majdanek angeklagt. Die Tatvorwürfe bezogen sich auf die Teilnahme an gemeinschaftlich begangenen Massenverbrechen im Lager aber auch auf Einzeltaten, die von Zeugen berichtet und bestimmten Angeklagten zur Last gelegt wurden. So aufwändig und umfangreich das Verfahren auch war, so kontrovers wurden die häufig als zu mild empfundenen Urteile aufgenommen.

Der sogenannte Majdanek-Prozess zählt zu den wichtigen justizgeschichtlichen Ereignissen in der Bundesrepublik Deutschland. Ähnlich wie der "Ulmer Einsatzgruppenprozess" und der erste Frankfurter "Auschwitzprozess" weist er aber zudem eine bedeutende zeitgeschichtliche Wichtigkeit für die Aufarbeitung des Nationalsozialismus auf. So erhielten während des Prozesses über 200 ehemalige Häftlinge des Konzentrationslagers die Möglichkeit ihre Erlebnisse dort zu schildern. Diese Erinnerungen wurden auch von der Presseberichterstattung aufgegriffen und trugen mit zu der öffentlichen Empörung über die Urteile bei.

Ein Podium zum Majdanek-Prozess, bei dem im Saal 600 im Nürnberger Justizgebäude Zeitzeugen von ihren Erlebnissen berichtet hätten, musste das Memorium Nürnberger Prozesse aufgrund der momentanen Situation absagen. Unser Mitarbeiter Axel Fischer hatte aber die Gelegenheit, mit Herrn Wolfgang Weber zu telefonieren. Er war einer der beiden Staatsanwälte bei dem Verfahren.

Wolfgang Weber kam nicht erst durch den Prozess zu dem Fall. Bereits seit 1971 war er im Rahmen seiner Tätigkeit für die Zentralstelle in Köln mit Ermittlungen zum KZ Majdanek befasst gewesen. Zusammen mit Dieter Ambach, der etwa nach einem halben Jahr Verfahrensdauer dazu stieß, vertrat er dann im Zeitraum vom 26. November 1975 bis zum 30. Juni 1981 die Anklage. Bewältigen konnten die beiden Staatsanwälte das immense Material nur aufgrund ihrer genauen Kenntnisse des Falls sowie mittels abwechselnd erstellter Mitschriften der Aussagen, die dann abgetippt wurden. Es waren immerhin die Aussagen von etwa 280 Zeugen während der Hauptverhandlung zu würdigen, die meist aus dem Gedächtnis sehr umfangreiche und zudem schon weit zurückliegende Ereignisse schilderten.

Weil ein Beschuldigter, der in der alphabetischen Reihenfolge auf Rang 1 der Angeklagtenliste stand, aus Düsseldorf kam, ergab sich die Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf. Vor diesem hatten bereits zwei Verfahren gegen Personal des Vernichtungslagers Treblinka stattgefunden.

Herr Weber berichtet von geschmacklosen Provokationen seitens der Anwälte. Diese kamen teils aus dem rechten Spektrum. Dem Gericht attestiert der Staatsanwalt aber, dass dieses die Zeugen sehr ausführlich zu Wort kommen ließ. Bei den Zeugen aus dem Kreis der Opfer bedeutete das auch, dass sie zum ersten Mal ihr Leid einer deutschen Öffentlichkeit verdeutlichen konnten und zudem ernstes Gehör seitens deutscher Behörden erfuhren. Auch neben der Hauptverhandlung, so betont Weber, sei der Umgang mit den Opferzeugen äußerst fürsorglich gewesen und hätte Maßstäbe gesetzt. Vor Gericht hatten diese Zeugen sich zu fürchterlichsten Vorgängen zu äußern. Besonders bleiben Wolfang Weber die Schilderungen in Erinnerung, von Aktionen gegen teilweise noch sehr junge Kinder. Dies bedeutete aber nicht unbedingt, dass es auch gelang, die Täter zu überführen. Eine Zeugin äußerte: "Unsere Aufgabe im Lager war es, geschlagen, getreten und gedemütigt zu werden, wir durften arbeiten und hungern. Was war Montag, Sonntag, Juli oder August? Wir haben doch gelebt wie die Tiere in den Lagern." Und nicht nur diese eingeschränkten Wahrnehmungsmöglichkeiten der ehemaligen Häftlinge beeinträchtigten das ohnehin anfällige Beweismittel der Zeugenaussage. Auch fiel in der Erinnerung die Unterscheidung zwischen selbst Erlebtem und nur Gehörtem oft schwer und führte zu Widersprüchen.

Das Verfahren endete mit zwei Urteilen: im ersten wurden vier Angeklagte aus "Mangel an Beweisen" freigesprochen, was auch von der Staatsanwaltschaft so beantragt wurde. Im zweiten gab es ebenfalls einen Freispruch, mehrere teils lange Haftstrafen sowie einmal Lebenslänglich. Das zweite Urteil enttäuschte nicht nur die Staatsanwaltschaft. Die Freisprüche bzw. die als zu niedrig empfundenen Haftstrafen stießen auch auf großes Unverständnis in der Öffentlichkeit und "bittere Kommentare" in der Presse. Aus Sicht Webers legt die Art und Weise, wie vom vorsitzenden Richter das Urteil verlesen wurde, nahe, dass auch dieser nicht in allen Punkten mit dem Votum seiner Kammer sowie der Schöffen einverstanden war.

Die Staatsanwaltschaft räumte einer Neuauflage des Verfahrens kaum Chancen ein und auch die Revisionsanträge der Angeklagten wurden zurückgewiesen. So wurden die Urteile rechtskräftig. Solche großen und langwierigen Verfahren beinhalten aufgrund der Strafprozessordnung Fallstricke. So können Fehler, Unachtsamkeit und unvorhergesehene Ereignisse Prozesse aus formalen Gründen zu einem Abbruch bringen. Großen Respekt zollt Weber deshalb der Arbeit des Gerichts, das mit der Durchführung dieses Mammutverfahrens betraut war und dieses souverän bewältigte.

Wolfgang Weber beschäftigte sich auch weiter beruflich mit der Verfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen. Er leitete von 1993 bis 2004 die Zentralstelle für NS-Verbrechen in Köln.


Das Memorium Nürnberger Prozesse dankt Herrn Wolfang Weber für seine Bereitschaft, über diesen historischen Prozess zu sprechen. Auch den weiteren eingeladenen Podiumsgästen, Prof. Dr. Christoph Safferling und Dr. Philipp Ambach, danken wir für Ihre Bereitschaft, sich an einer Diskussion zu beteiligen bzw. von ihren Erinnerungen zu berichten. Wir hoffen, die Veranstaltung nachholen zu können.