Die Bücher von "Rasse-Günther" und ein "Rassenrad"
Zeugnisse rassistischer Ideologie in der Sammlung des Dokumentationszentrums

Lehrmittel aus Karton mit drehbarer Scheibe, die angebliche Eigenschaften angeblicher "Rassen" präsentiert, Lindner GmbH Berlin, 1930er Jahre. (DZO-0172)
Franz Lüke: Rassen-ABC, Bochum 1935. Der Autor präsentiert eine Zusammenstellung der damals gängigen rassistischen Vorstellungen mit einem Kapitel, das sich gegen Juden richtet.Zeitschrift der Hitlerjugend "Die Kameradschaft", 7. Dezember 1938. In der Schulungsarbeit der HJ sollte rassistische Ideologie eine wichtige Rolle spielen."Ritter, Tod und Teufel" von Hans F. K. Günther, 4. Auflage München 1935 (1. Auflage 1920). Für sein erstes Buch instrumentalisierte Günther einen Kupferstich Albrecht Dürers für seinen Rassismus."Kleine Rassekunde des deutschen Volkes" von Hans F. K. Günther, München 1935. Auch in kompakter Form ist Günthers sogenannte Rassekunde ein schwer verständlicher und pseudowissenschaftlicher Text.Günther hat seit den 1920er Jahren zahlreiche Schriften zu seinen Rassentheorien veröffentlicht. Noch bis in die 1960er Jahre erscheinen manche seiner Texte in einem rechtsradikalen Verlag.
Objekt:

Lehrmittel mit Darstellung angeblicher Rassen in Europa ("Rassenrad")

Produzent:

Lindner GmbH, Berlin

Material:

Karton und Metallöse zur Befestigung der drehbaren Kartonscheibe

Datierung:

1930er Jahre

Maße:

16 cm hoch, 12 cm breit

Sammlungsnummer:

DZO-0172

Die Bibliotheksdatenbank des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände listet über 50 Titel aus der Zeit des Nationalsozialismus auf, deren Titel den Begriff "Rasse" enthält. Dies ist eigentlich nicht viel, denn es gab wesentlich mehr angebliche Fachbücher, Romane, Zeitschriften, Unterrichtswerke oder auch "Tornisterschriften" für Soldaten im Kriegseinsatz, die Rassismus damals populär machten. Die Vorstellung der Existenz von "Rassen" unter den Menschen ist ein ideologisches Konstrukt, das historisch vor allem dazu diente, bestimmte Gruppen von Menschen abzuwerten und so Kolonialismus und ein angebliches Herrenmenschentum zu rechtfertigen. Die im Nationalsozialismus in den Vordergrund gestellte Behauptung, Menschen jüdischer Religion seien Teil einer angeblichen "jüdischen Rasse", war die ideologische Vorbereitung für die Judenverfolgung bis hin zum Holocaust. Rassistische Vorstellungen und Haltungen hatten und haben fatale Folgen. Sich mit ihnen auseinanderzusetzen ist eine Aufgabe von Einrichtungen wie dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände. Menschenrassen gibt es nicht.

Auch manche Objekte dokumentieren das rassistische Denken im Nationalsozialismus: In der Sammlung des Dokumentationszentrums befindet sich ein kleines mechanisches Lehrmittel aus Karton mit dem Titel "Die Rassen Europas". Die Vorder- und Rückseite zeigen je eine Karte Europas mit den jeweils angeblich vorkommenden "Rassen". Dreht man an der dazwischen angebrachten, einer Parkscheibe ähnlichen Einlage, erscheinen in ausgestanzten Fenstern willkürliche Zuschreibungen zu diesen Rassen, etwa hinsichtlich ihrer Intelligenz oder Befähigung zur "Führung".

Es ist auffällig, dass in der Kategorisierung dieses Lehrmittels Juden und damals sogenannte "Zigeuner" nicht vorkommen, obwohl sie im Nationalsozialismus als angeblich "feindliche Rassen" polemisch ausgegrenzt, mit allen möglichen Falschbehauptungen abgewertet und in ihrem Dasein als Menschen angegriffen wurden. Das Lehrmittel setzt damit die Ausgrenzung von Juden sowie Sinti und Roma einfach voraus und widmet sich angeblichen "Rassen" in Europa.
Als an der Spitze der verschiedenen angeblichen "Rassen" stehend wird, nahe an Deutschland oben mittig platziert, eine "nordische" Rasse herausgestellt. Für den Osten Europas präsentiert das Lehrmittel eine "dinarische" und eine "ostbaltische" Rasse als vorherrschend – mit verschiedenen negativen Eigenschaften, bei Intelligenz etwa "derb, schlagfertig und bauernschlau" (dinarisch) und "etwas wirr, Mangel an Wirklichkeitssinn" (ostbaltisch). Es sind diese vollkommen willkürlichen Zuschreibungen, die den Rassismus, obwohl er sich wissenschaftlich gibt, so unlogisch, aber auch so menschenverachtend machen.

Eine "arische Rasse" gibt es nicht – auch nicht für manche Nationalsozialisten

Die zunächst vielleicht eigenartigste und überraschendste Erkenntnis bei der näheren Beschäftigung mit rassistischen Büchern und Broschüren aus der Zeit des Nationalsozialismus ist, dass häufig nicht von einer "arischen" Rasse die Rede ist. Auch im Text der Nürnberger Gesetze von 1935 ist der Begriff "arische Rasse" nicht zu finden. Lapidar stellt eine Denkschrift mit dem Titel "Nationalsozialistisches Strafrecht" bereits 1933 fest: "Die Begriffe Arier oder Nichtarier sind zu unbestimmt, als dass sie in einem Gesetzestext verwendet werden könnten. Der Begriff 'Angehörige fremder Blutsgemeinschaften' ist zu wählen." Obwohl also in Hitlers "Mein Kampf" und auch in Schulbüchern die "arische" Rasse als Ideal hingestellt wurde, wurde ihre Existenz selbst in nationalsozialistischen Schriften manchmal bestritten. Auch in der damals vorherrschenden Rassenideologie von Hans F. K. Günther gibt es die "arische Rasse" nicht. Es war dort vielmehr vom "nordischen Gedanken" und einer "nordischen Rasse" die Rede – genauso wie auf dem "Rassenrad".

Im Irrgarten der Rassenlogik – Hans F. K. Günther

Der wohl einflussreichste und bekannteste nationalsozialistische Rassist war Hans F. K. Günther, der sich den Spitznamen "Rasse-Günther" mit seinen zahlreichen, in immer neuen Auflagen erscheinenden Schriften seit Anfang der 1920er Jahre redlich erarbeitet hat. Günther war ein Sprachtalent, hatte Sprachwissenschaften und Germanistik studiert, konnte aber keine fundierte biologische oder sonst in eine derartige Richtung zielende Ausbildung vorweisen. Da die Konstruktion angeblicher "Rassen" unter den Menschen ein ideologisches Konstrukt darstellt, sind naturwissenschaftliche Kenntnisse aber auch nicht wirklich notwendig. Professor konnte Günther dank der Förderung durch die Nationalsozialisten dennoch werden.

Wer Günthers Schriften liest, droht in einem wahren Irrgarten der rassistischen Thesen und Behauptungen zu versinken, wobei Günther vieles von anderen rassistischen Autoren übernommen hat. Nur wenige dürften seine über 500 Seiten umfassende "Rassenkunde des deutschen Volkes" komplett gelesen haben. Man begnügte sich wohl eher mit dem schmaleren Band "Kleine Rassenkunde des deutschen Volkes", der in zahlreichen Exemplaren in der Sammlung des Dokumentationszentrums vorhanden ist, was die weite Verbreitung widerspiegelt. Es ist aus heutiger Sicht eine durchaus eigenartige Welt, die Günther ausbreitet, etwa wenn er über die Eigenschaften einer "sudetischen" Rasse spekuliert, die allerdings noch nicht näher beschrieben sei, wenn er den Weltkriegshelden und späteren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg einer vorwiegend "fälischen" Rasse zuordnet (allerdings nicht Hindenburgs Hinterkopf!) und wenn er immer wieder Karten mit der angeblichen Verteilung von "Rassen" samt ihrer angeblichen Merkmale präsentiert bis hin zu sogenannten "Kopfindern", also Menschen, deren Kopfform angeblich der Kopfform von Menschen in Indien ähnelt. Diese kommen seiner Ansicht nach sehr häufig in Bayern vor. Günthers Vielschreiberei erfasste so einen sehr weiten Themenkreis mit heute absurd wirkenden Begriffen. Er veröffentlichte sogar einen Aufsatz zum Thema "Der rasseeigene Geruch der Hautausdünstung" – und erreichte damit einen weiteren Tiefpunkt rassistischer Pseudowissenschaft mit menschenverachtender Einstellung.

Drei Fragen an Alexander Schmidt zum sogenannten "Rassenrad"
(.mp4-Datei 533 MB)

Ein "Rassenrad" mit Darstellung angeblicher Rassen in Europa

"Rasse-Günther" und Nürnberg

Der Beginn Günthers publizistischer Karriere hat einen deutlichen Nürnberg-Bezug: Sein erstes Buch aus dem Jahr 1920, "Ritter, Tod und Teufel", stellt einen vermeintlich bei Albrecht Dürer vorhandenen "heldischen Gedanken" vor, die der Künstler in seinem Kupferstich angeblich ausdrückt. Dieser heldische Gedanke sei charakteristisch für die "nordische Rasse", welche fortan das Ideal in Günthers Rassismus darstellt und die Ähnlichkeiten zur Vorstellung einer "arischen Rasse" aufweist.

Obwohl Günther nach 1945 mit den Nationalsozialisten nur am Rand zu tun gehabt haben wollte, verdankte er ihnen alles: den Professorentitel, sehr gute Einkünfte durch auflagenstarke Bücher in dem wichtigsten nationalsozialistischen Verlag J. F. Lehmanns (München) seit den 1920er Jahren und nicht zuletzt Ansehen und Einfluss. Günther war am "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" von 1933 direkt beteiligt und erhielt 1935 in Nürnberg beim Reichsparteitag den neu geschaffenen "Preis für Wissenschaft". Alfred Rosenberg lobte Günther im Nürnberger Opernhaus unter anderem mit den Worten: "In seinen Schriften und vor allen Dingen in seiner 'Rassenkunde des deutschen Volkes' hat er geistige Grundlagen gelegt für das Ringen unserer Bewegung und für die Gesetzgebung des nationalsozialistischen Reiches." Vier Tage nach der Preisverleihung wurden beim Reichsparteitag die "Nürnberger Gesetze" verkündet. Günther behauptet in seiner Autobiografie "Mein Eindruck von Adolf Hitler" (1969), dass er zum Zeitpunkt der Verkündung der Nürnberger Gesetze schon abgereist und sowieso nur widerwillig nach Nürnberg gekommen sei. Dies ist ähnlich unglaubwürdig wie seine von ihm nicht belegte Behauptung, viele der Gräuel im KZ Buchenwald seien "zusammengelogen" (S. 126). Günther blieb bis zu seinem Tod 1968 ein überzeugter Nationalsozialist und selbstgerechter Rassist. Seine Bücher sind heute Dokumente eines pseudowissenschaftlichen Rassismus, der fatale Folgen hatte.


Weiterlesen, weiterforschen:

Naika Foroutan/ Christian Geulen/ Susanne Illmer/ Klaus Vogle/ Susanne Wernsing (Hg.): Das Phantom "Rasse". Zu Geschichte und Wirkungsmacht von Rassismus, Wien/ Köln/ Weimar 2018

Hanns Kerrl (Verantwortlicher): Nationalsozialistisches Strafrecht. Denkschrift des Preußischen Justizministers, Berlin 1933 (Zitat zur Unbestimmtheit der "arischen" Rasse S. 47)

Peter Schwandt: Hans F. K. Günther. Portrait, Entwicklung und Wirken des rassistisch-nordischen Denkens, Saarbrücken 2008

Reihe "Ans Licht geholt – aus der Sammlung des Dokumentationszentrums"

Text und Recherche: Alexander Schmidt
06.07.2021
Textlizenz: CC BY SA 4.0
© Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

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