"Nürnberg 1936"
Das Feindbild "Bolschewismus" beim Reichsparteitag

Bewusst verfremdete Titelseite der Zeitschrift Kladderadatsch zum Reichsparteitags 1936. Die menschenverachtende Zeichnung des russischen Soldaten ist verdeckt. (Bearbeitung: Tobias Richter, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände)
Titelseite der Zeitschrift Kladderadatsch mit antibolschewistischer Karikatur zum Reichsparteitag 1936. (Historische Bibliothek Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände)Karikatur von Oscar Garvens mit Hitler als "Bildhauer Deutschlands", Kladderadatsch 3. Dezember 1933 (https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kla1933/0775/image,info)Im Innenteil der Zeitschrift Kladderadatsch wird auf einen Notizzettel Hitlers verwiesen, der bei der offiziellen Ausstellung zum Reichsparteitag 1936 in der Norishalle zu sehen war (Zeitschrift Kladderadatsch Nr. 39, 27. September 1936, S. 2)Goebbels wird 1936 in der nationalsozialistischen Presse als antibolschewistischer Agitator präsentiert, Berliner Illustrierte Zeitung 17. September 1936. (Historische Bibliothek Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände)Bericht zum Start der Wanderausstellung "Bolschewismus Weltfeind Nr.1" beim Reichsparteitag 1936, Nürnberger Zeitung 8. September 1936. (Reproduktion Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände)
Objekt:

Zeitschrift Kladderadatsch Nr. 39, 27. September 1936

Hersteller:

Steininger Verlagsanstalt, Berlin

Datierung:

1936

Beschreibung:

Ganzseitiges farbiges Titelblatt mit Karikatur zum Reichsparteitag 1936

Maße:

23,5 cm breit, 32,5 cm hoch

Sammlung:

Historische Bibliothek Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

Das Titelbild der Satire-Zeitschrift Kladderadatsch vom 27. September 1936 zeigt in menschenverachtender Weise einen völlig entstellten russischen Soldaten, mit furchterregender Fratze, gefangen in einem Joch und festgebunden wie an einem Pranger auf einem Podium. Das Podium ist mit "Nürnberg 1936" beschriftet.

Das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände will derartig menschenverachtende Bilder nicht unkommentiert weiterverbreiten, obwohl diese häufig im Internet frei und ohne kritische Kommentierung zugänglich sind. Wir haben deshalb die Figur in der ersten Ansicht abgedeckt. Damit soll Distanz geschaffen und die visuelle Wahrnehmung der Karikatur in Frage gestellt werden. In der zweiten Ansicht ist die Karikatur aber auch im Original zu sehen, um eine Auseinandersetzung mit dem zeitgenössisch veröffentlichten Bild zu ermöglichen.

Der russische Soldat wird zur Schau gestellt wie eine bösartige, wilde Bestie mit dem Schild "Weltfeind N° 1" um den Hals. Das Podium ist von Menschen umringt, die teilweise eindeutig als Vertreter verschiedener Nationen gezeichnet sind: Niederlande (Frau mit Hollandhaube, unten rechts), Türkei (Mann mit Fes, unten links), Japan (Mann, links am Bildrand), Großbritannien (Mann mit Pfeife und Schirmmütze). Im Hintergrund ist die Silhouette der Nürnberger Altstadt zu erkennen.

Das Titelbild des Kladderadatsch stammt von dem Grafiker Oscar Garvens (1874-1951), der schon seit den frühen 1920er Jahren judenfeindliche Karikaturen für die auch schon damals tendenziell antisemitische Zeitschrift lieferte. Garvens war ein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus und verherrlichte Hitler u.a. mit einer Karikatur als "Bildhauer Deutschlands", der eine moderne Plastik mit der Faust zerstört und so etwas wie "arische" Kunst schafft (siehe Bildergalerie).

 

Die "bolschewistische Gefahr" – ein neues (und ganz altes) Feindbild zum Reichsparteitag 1936

Die zum Reichsparteitag 1936 erschienene Zeitschrift bringt das wichtigste Propagandaziel für den Reichsparteitag, bei dem in Nürnberg hunderttausende Menschen zur größten Propagandaveranstaltung des Jahres zusammenkamen, in einer Karikatur zum Ausdruck: Der "Bolschewismus" wird als der "Weltfeind N° 1" zum Hauptgegner erklärt. "Nürnberg 1936" soll dies den Besuchern des Reichsparteitags und der ganzen Welt vor Augen führen.

Der "Kampf gegen den Bolschewismus" war zwar kein neues, aber das beim Reichsparteitag 1936 besonders herausgestellte Ziel der nationalsozialistischen Propaganda. Dies war Teil einer überlegten Strategie. Im Juli 1936 notierte Propagandaminister Joseph Goebbels nach einem Treffen mit Hitler in sein seinem Tagebuch: "Der nächste Parteitag geht wieder gegen die Bolschewiken, ich werde diesmal eine besonders große Aufgabe bekommen." Der Parteitag im September entfachte dann tatsächlich eine bis dahin nicht dagewesene Agitation gegen die angeblich weltweite Gefahr des Bolschewismus. Die vor und während der Olympischen Spiele in Berlin bis August 1936 gepflegte Zurückhaltung der nationalsozialistischen Propaganda wurde einen Monat später beim Reichsparteitag aufgegeben.

Die "besonders große Aufgabe" für Joseph Goebbels 1936 bestand dann aber doch nur darin, dass er auf dem Parteikongress, der inhaltlich zentralen Veranstaltung der Reichsparteitage, eine längere Rede halten durfte, die auch als Broschüre unter dem Titel "Der Bolschewismus in Theorie und Praxis" gedruckt wurde. Allerdings war sein Rivale Alfred Rosenberg vor ihm ebenfalls als Redner auf dem Parteikongress präsent – und zwar zum gleichen Thema. Unter dem Titel "Der entscheidende Wettkampf" erschien auch diese Rede als Broschüre.

Die Reden der beiden Reichsleiter, dem höchsten Rang in der Hierarchie der NSDAP, bezeichnete ein zeitgenössischer Erinnerungsband an den Reichsparteitag als einen "unerhört eindringlichen Appell an die Welt zur endlichen Erkenntnis des weltzerstörenden Bolschewismus" wie er bisher "mit einem so unerbittlichen Willen zur Überwindung dieser furchtbarsten und gefährlichsten Bedrohung der Welt noch nicht gehört worden ist!"

Nach der Eröffnung des Parteikongresses am 9. September in der Luitpoldhalle mit der Verlesung einer "Proklamation" Hitlers wurde die zweite Sitzung des Parteikongresses einen Tag später mit den beiden Reden Rosenbergs und Goebbels' bestritten. Rosenberg zählte in ausufernder Form Funktionsträger des sowjetischen Staates auf, die angeblich oder tatsächlich Juden waren, und benannte so auch die eigentliche Stoßrichtung des nationalsozialistischen Antibolschewismus: Dieser war vor allem ein antijüdisches Projekt – oder wie es Goebbels in seiner Rede formulierte: "Der Bolschewismus konnte nur im Gehirn von Juden entstehen, und der sterile Boden des Asphalts der Weltstädte hat ihm Ausbreitungsmöglichkeiten gegeben."

Der Parteikongress der NSDAP zog sich mit verschiedenen Reden in der Luitpoldhalle dann über die gesamte Dauer des Reichsparteitags insgesamt sechs Tage hin. Neben Hitler, Goebbels und Rosenberg kamen noch weitere zehn Redner zu Wort, von denen keiner eine antibolschewistische Wendung seines Themas vergaß, egal ob es um Wohlfahrtspflege (Rede des Leiters der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt Erich Hilgenfeld) oder um die Lage des deutschen Arbeiters (Rede des Leiters der Deutschen Arbeitsfront Robert Ley) ging. Selbst der Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen Fritz Todt, der meist als nüchterner Ingenieur und Techniker in der Propaganda präsentiert wurde, konnte dem Thema "Der deutsche Straßenbau" noch eine antibolschewistische Stoßrichtung geben mit dem Fazit, dass es in Russland, diesem "großen, aber öden und kulturlosen Land", natürlich auch kein Straßensystem wie in westlichen Ländern gebe.

Ausstellungen beim Reichsparteitag: "Bolschewismus – Weltfeind Nr. 1" und "Große Antibolschewistische Ausstellung"

Das auf dem Titel der Zeitschrift Kladderadatsch präsentierte Feindbild wurde nicht nur in den Printmedien, im Rundfunk und durch die Reden auf dem Parteitag transportiert, sondern auch in einem neu entwickelten Format, einer mobilen Ausstellung: Am 7. September 1936 anlässlich des Parteitags eröffnete man die Propagandaschau "Bolschewismus – Weltfeind N° 1". Sie war auf eine Reihe von Lastkraftwagen mit Anhängern montiert, deren Aufbauten nur geöffnet werden mussten, um die mit Großbildern und einfachen Kulissenbauten arbeitende Ausstellung zu zeigen. Dafür verwendete man den sogenannten Olympiazug, einen Lastwagenkonvoi, der vor den Olympischen Spielen für das sportliche Großereignis geworben hatte und nun weiterhin für Propagandazwecke genutzt wurde. Die mobile Ausstellung, die zum Reichsparteitag startete, aber nicht Teil des offiziellen Programms war, verzeichnete bereits in Nürnberg angeblich 40.000 Besucher und wurde dann eineinhalb Jahre durch Deutschland gefahren. Knapp 1,5 Millionen Menschen insgesamt sollen diese Wanderausstellung gesehen haben.

 

 

"Bolschewismus – Weltfeind N° 1" stand am Beginn einer Reihe großangelegter Feindbild-Ausstellungen des nationalsozialistischen Regimes. Weiteren Ausstellungen waren "Der Bolschewismus. Große Antibolschewistische Schau" (ab November 1936 im Bibliotheksbau des Deutschen Museums München) und "Große Antibolschewistische Ausstellung – Bolschewismus ohne Maske". Letztere wurde als offizielle Ausstellung zum Reichsparteitag 1937 in der Nürnberger Norishalle am 5. September 1937 eröffnet.

Auch während des Zweiten Weltkriegs wurde die antibolschewistische Propaganda mit Ausstellungen fortgesetzt. Ab 1941 war in verschiedenen europäischen Großstädten die Schau "Das Sowjetparadies" zu sehen. Der kommunistische Widerstand reagierte mit Klebezetteln mit dem Text "Ständige Ausstellung / Das NAZI-PARADIES / Krieg Hunger Lüge Gestapo / Wie lange noch?" und einem Brandanschlag auf die Schau.

Nachwirkungen antibolschewistischer Klischees in der Bundesrepublik

Die antibolschewistische Propaganda im Nationalsozialismus, die auch vom Reichsparteitag 1936 ausgegangen war, hatte offensichtlich eine lang anhaltende Wirkung. In einer Publikation zur politischen Bildung in den 1960er Jahren wurde die Vorstellung, dass Hitler Europa vom Bolschewismus habe retten wollen, als eine der Legenden benannt, die immer noch über den Nationalsozialismus kursierten. Die Broschüre stellte dagegen fest, dass Rassismus und die Eroberung von neuem "Lebensraum im Osten" die eigentlichen Gründe für Hitlers Kriegspolitik jenseits der vorgeschobenen antibolschewistischen Propaganda waren.

Das beim Reichsparteitag 1936 in Ausstellungen, Reden, Plakaten und Karikaturen verbreitete antibolschewistische Stereotyp eines "Weltfeinds Nr. 1" und der Sowjetunion als dem eigentlichen Aggressor war also auch noch zwanzig Jahre später in der Bundesrepublik durchaus virulent. Selbst beim Historikerstreit in den 1980er Jahren wurde ein antibolschewistisches Klischee unter anderem vom Historiker Ernst Nolte noch einmal bemüht. Er brachte u.a. folgende als Fragen getarnte Unterstellungen vor: "War nicht der 'Archipel Gulag' ursprünglicher als Auschwitz? War nicht der 'Klassenmord' der Bolschewiki das logische und faktische Prius des 'Rassenmords' der Nationalsozialisten?"

Stereotype eines bolschewistischen oder jüdischen Weltfeindes helfen bei der Analyse von Geschichte und Politik nicht weiter. Hinter Gewalt und Kriegen stehen Interessen und Akteure, denen man nicht durch Verschwörungstheorien, sondern durch klare Benennung und konkretes politisches und zivilgesellschaftliche Handeln entgegentreten muss – und durch das Völkerrecht.

Zum Weiterlesen:

Rosemarie Burgstaller: Inszenierung des Hasses. Feindbildausstellungen im Nationalsozialismus, Frankfurt/ New York 2022 (S. 190-204 zu den antibolschewistischen Ausstellungen, beginnend beim Reichsparteitag 1936)

"Historikerstreit". Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München 1987 (Zitat Ernst Nolte S. 45)

Peter Longerich: "Davon haben wir nichts gewusst!" Die Deutschen und die Judenverfolgung 1933-1945, München 2006 (S. 101f. zu Goebbels auf dem Reichsparteitag 1936).

Hans Joachim Winkler: Legenden um Hitler, Berlin 1963, S. 54-74 (Vierte Legende: "...ja, aber Hitler wollte Europa vom Bolschewismus retten!")

Quellen:

Hanns Kerrl (Hg.): Reichstagung in Nürnberg 1936. Der Parteitag der Ehre, Berlin 1937

Der Parteitag der Ehre vom 8. bis 14. September 1936. Offizieller Bericht über den Verlauf des Reichsparteitags mit sämtlichen Kongressreden, München 1936 (Zitate zu Rosenberg und Goebbels beim Reichsparteitag 1936, S. 81 und Zitat Rede Goebbels S. 101)


Reihe "Ans Licht geholt – aus der Sammlung des Dokumentationszentrums"

Text und Recherche: Alexander Schmidt
23.02.2023
Textlizenz: CC BY SA 4.0
© Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

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