Der "kleine SA-Mann"
Eine Puppe und eigentlich zum fürchten

Die SA-Puppe in der Sammlung des Dokuzentrums wurde von der hessischen Firma "Cellba" produziert. Sie hat bewegliche Glieder, eine abnehmbare Mütze und trägt die Hakenkreuz-Armbinde über dem "Braunhemd". Foto: Daniela Harbeck-Barthel
Die Kopfmarke enthält wichtige Informationen zum Hersteller und zur Datierung der Puppe. Durch die Form der Nixe im Markenzeichen der "Cellba", lässt sich der kleine SA-Mann auf die Jahre 1933-1935 datieren. Foto Daniela Harbeck-BarthelIm Spielzeugmuseum Nürnberg befindet sich eine zweite SA-Puppe der "Cellba" (Inv.-Nr. 1971.148). Sie ist nur 19 Zentimeter groß und hochwertiger gekleidet. Ihr fehlt der Gürtel, der Schultergurt sitzt aber richtig herum. Foto: Daniela Harbeck-BarthelReichskanzler und NSDAP-Chef Adolf Hitler sieht auf diesem Schnappschuss mit dem SA-Jungen und dem Mädchen eher unwohl aus. Seinem Umfeld, darunter links sein Stellvertreter Rudolf Heß, amüsieren sich dagegen. Foto: DZ-Ph 525-02Kleinkinder in Uniformen zu stecken und sie sogar mit Kindergewehren auszustatten – davon zeugen zahlreiche Postkartenmotive aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Repro: DZRIn dieser Anzeige der "Cellba" von 1944 gibt es keinen Hinweis mehr auf eine politisch-militärische Konnotation der Puppen. Die Nixe trägt noch die Krone, obwohl die 1939 aufgegeben worden war. Quelle: Deutsche Spielwarenzeitung 1944
Objekt:

Jungen-Puppe mit beweglichen Gliedern, gekleidet in eine SA-Uniform

Hersteller:

"Cellba", Celluloidwarenfabrik Schöberl & Becker Babenhausen

Kopfmarke:

"DRP / Markenzeichen gefiederte Wassernixe mit Krone / Germany / 25"

Datierung:

1933-1935

Material:

Zellulose, Stoff, Filz

Maße:

25 cm hoch

Sammlungsnummer:

DZO-187

Sammlungseingang:

2022, Schenkung aus München, keine Angaben zum Besitzer

Als uns das Paket mit einer Jungenpuppe erreichte, mussten wir zweimal hinschauen: Sie trug nicht etwa eine Uniform der Hitlerjugend, wie es bei einem Spielzeug aus der NS-Zeit zu erwarten war, sondern das Braunhemd der Sturmabteilung SA. Diese paramilitärische Schlägertruppe der NSDAP hatte mit massiver Gewalt gegen politische Gegner und durch Terror gegen Juden wesentlich zum Aufstieg Hitlers beigetragen. 1934 ließ er die zu stark gewordene Führungsriege der SA ermorden und die Parteiorganisation zugunsten der SS zurechtstutzen.

War eine SA-Puppe ein passendes Geschenk für das eigene Kind oder Enkelkind? Heute unvorstellbar, nicht aber im Jahr 1934.

 

"Menschenflüsterer"-Puppe – das ideale Propagandamedium

Entwicklungspsychologin Insa Fooken bezeichnet Puppen als "heimliche Menschenflüsterer". Sie seien als beseeltes Abbild des Menschen "Übergangsobjekte" und "Sozialisationsagenten", die Kinder auf dem Weg ins Erwachsenenleben begleiteten. Die Macht der Puppen als "Menschenflüsterer" hatten auch die Nationalsozialisten im Sinn, als das neu geschaffene Reichsministerium für Propaganda und Volksaufklärung im Sommer 1933 anregte, Spielsachen noch mehr als bisher "in den Dienst der Erziehung zum wehrhaften und vaterländischen Geist zu stellen". (Postert, S. 221)

Direkt nach der Machtübernahme passten Spielzeugfirmen in vorauseilendem Gehorsam Teile ihres Sortiments an die neuen Verhältnisse an und schwammen auf der Welle der Begeisterung mit.

Die Leiterin des "Spielzeugmuseums Nürnberg" Karin Falkenberg, in deren Sammlung sich ein etwas kleinerer SA-Mann der "Cellba" befindet, bezeichnet Spielzeug gerne als "die Welt im Kleinen". Deshalb bieten die Relikte aus den Kinderzimmern einen besonders faszinierenden, aber auch erschreckenden Einblick in die Formen und Mechanismen politischer Propaganda für die Kleinsten.

Für Jungs oder Mädchen? Zum Liebhaben oder Üben?

Die Bezeichnung Puppe kommt vom lateinischen Worte "pupa" oder "pupula", also Mädchen. Das weibliche Geschlecht war auch die Hauptzielgruppe für all die vorwiegend blonden Helga-, Inge- und Gretchen-Typen, die die großen Hersteller wie Käthe Kruse und die "Cellba" herstellten. Dennoch hatte jeder Hersteller auch Jungenpuppen im Sortiment. Im Sinne der Machthaber war es, dass Buben im Spiel mit ihrer SA-Puppe an eine Zukunft in dieser NS-Organisation gewöhnt wurden, sich darauf sogar freuen. Den Kindern dürfte es dabei wenig ausgemacht haben, dass bei der SA-Puppe im Dokuzentrum der Schultergurt falsch herum befestigt war und die Stiefel auch nicht der Vorschrift entsprachen. Die bei "Führer"-Bildern so strenge Kommission, die nationale Symbole vor Verkitschung schützen sollte, zeigte sich bei Spielzeug großzügig.

Die 25 Zentimeter große SA-Puppe ist mit 25 Gramm erstaunlich leicht und wirkt zerbrechlich. Auch die Kleidung – das typische braune Hemd mit brauner Krawatte und braunen Breecheshosen – fällt nicht ins Gewicht, denn die Uniform, die für das Zusammengehörigkeitsgefühl der echten großen SA-Mitglieder seit der "Kampfzeit" eine bedeutende Rolle spielte, war hier nur aus dünnem Baumwollstoff. Die Stiefelchen sind nur aus grauem Filz gefertigt, grob zusammengenäht.

Im Vergleich zur SA-Puppe im Spielzeugmuseum, die in eine hochwertig wirkende Uniform aus braunem Filz gekleidet und mit braunen Lederstiefeln schneidig ausgestattet ist, wirkt sie, obwohl größer, wie die günstigere Variante für die Kinder der eher ärmeren Mitglieder der SA. Die war Anfang 1934 auf 4,2 Millionen Mitglieder angewachsen und damit eine große Käuferklientel für dieses Spielzeug.

Während Mädchen im Spiel mit ihren Puppen vor allem die Mutterrolle einüben sollten, z.B. das An- und Auskleiden, das Füttern und Kämmen, stand beim SA-Jungen mit seiner bis auf die Mütze am Rumpf festgenähten Kleidung etwas Anderes im Vordergrund: Die beweglichen Glieder ermöglichten das Marschieren und die unterschiedlich geformten Arme und Hände ließen den Hitlergruß ganz leicht nachahmen.

Die Firma "Cellba" im Nationalsozialismus und die kurze Karriere der SA-Puppen

Den Aufstieg zum Massenprodukt, das in keinem Kinderzimmer fehlte, verdankte die Puppe um die Wende zum 20. Jahrhundert der Erfindung der Zellulose, eine Art früher Kunststoff. Die "Rheinische Gummi- und Celluloidfabrik", die später nach ihrem Markenzeichen in "Schildkröt" umbenannt wurde, hatte 1896 in Mannheim die erste Puppe aus Zelluloid hergestellt. Der neue Werkstoff verbreitete sich rasch, doch erst nach dem Ersten Weltkrieg nahm die Puppenproduktion in Deutschland Fahrt auf.

Die wirtschaftliche Bedeutung, die in diesem Spielzeug steckte, erkannte 1923/1924 im hessischen Babenhausen auch der Mühlenbesitzer und Baurat Hermann Schöberl. Er gründete die "Celluloidwarenfabrik Babenhausen" – kurz "Cellba" – und ließ sich seine Puppen und deren "Verbindung der Glieder mit dünnwandigen Hohlkörpern" mittels Gummischnüren umgehend patentieren. Unter dem Einfluss von Firmenmitgründer Otto Becker, der als Puppendesigner und Modellierer bei "Schildkröt" im 60 Kilometer entfernten Mannheim gearbeitet hatte, wurde die "Cellba" zum ernsthaften Konkurrenten für den Zellulose-Pionier.

Die Bestimmung des Herstellers und die Datierung einer Puppe gelingt meist mit Hilfe der sog. Kopfmarke, die im Nacken der Figur eingeprägt ist. Unter dem Kragen des Braunhemds des SA-Jungen im Dokumentationszentrum fand sich zwischen der Abkürzung "DRP" für Deutsches Reichspatent und der Zahl 25 für die Größe von 25 Zentimetern eine "Wassernixe mit Krone".

Diese Form der Nixe in der üblichen Wappenkartusche wurde von der "Cellba" bis 1938 als Markenzeichen verwendet. Die gefiederten, abgerundeten Flügel der Nixe weisen auf die Jahre 1930-1935.

Auch die SA-Puppe des Nürnberger Spielzeugmuseums lässt sich in diese Zeit datieren – und beide waren bei weitem nicht allein auf dem braunen Markt: Die Margarethe Steiff GmbH produzierte 1933 und 1934 einen SA-Mann aus Filz, die Firma Käthe Kruse brachte sogar drei Nazi-Modelle auf den Markt. In der beliebten "Friedebald"-Modellserie kamen 1933 wahlweise Puppen in SA- oder HJ-Uniform heraus; deren rechter Arm war beweglich und konnte zum Hitlergruß emporgereckt werden. "Schildkröt" versuchte ebenfalls mit einer Puppe an den neuen Verhältnissen zu verdienen und arisierte außerdem seine "Bärbel", durch blaue Augen und blonde Ohrschnecken als Frisur.

Die "Cellba" scheint mit ihrem Betriebsführer Schöberl den Übergang in die neue Zeit mit Überzeugung gegangen zu sein. Im Februar 1934 wurden die Werkangehörigen kurz vor der Leipziger Messe zur Besichtigung der Musterkollektion ein. Die Lokalzeitung schrieb: "Wie glänzten die Augen der Kinder, als sie die vielen kunstvollen Werkerzeugnisse (...) betrachteten. Da schauen uns die "Sonnenkinder" in ihren jugendfroh-bunten Kleidchen so herzig an. Dort ist eine ganze Hitlerparade von SA-Männern, HJ, B.d.M. und SS aufmarschiert!!"

 

 

Doch schon um 1935 verlieren die SA-Puppen wieder an Bedeutung. In der Preisliste der "Cellba" von 1935 tauchen sie nicht mehr auf. "Das Regime bremste (…) den Aufmarsch der braunen Puppenarmee" – so Historiker Postert. "Die anfangs so beliebten, massenhaft produzierten SA-Figuren … wurden nach Hitlers Mordaktion [an der SA-Führung] im Sommer 1934 zu Ladenhütern." (Postert, S. 224)

Ab 1935 richtete sich parallel zur Wiedereinführung der Wehrpflicht das Interesse der Schuljungen ohnehin wieder verstärkt auf Soldaten, deren Nachbildungen in Zinn schon im Ersten Weltkrieg die Kinder begeistert hatten. Deshalb stellen die als Massefiguren hergestellten Wehrmachtssoldaten der Marken Lineol oder Elastolin heute in unserer Museumssammlung den quantitativ größten Anteil unter den Alltagsobjekten aus dem kindlichen Sektor dar.

Exportorientierte Firmen, zu denen alle der hier genannten Hersteller gehörten, beendeten die Produktion von politischen Puppen auch wegen der Kritik der internationalen Kundschaft und Boykottaufrufen gegen Nazi-Spielzeug, v.a. in den USA.

1935, dem Jahr, in dem beim Reichsparteitag die rassistischen "Nürnberger Gesetze" verabschiedet wurden, werden bei der "Cellba" auf behördliche Anordnung hin "Mulatten- und Negerpuppen" aus dem Sortiment genommen. Im Jahr darauf wird die blonde Olympia-Puppe ein voller Erfolg.

1943 – das Kriegsgeschick hat sich gegen das Deutsche Reich gewendet – gehört "Cellba" zu den vier verbliebenen Zelluloidspielwaren-Produzenten, die in einer staatlich angeordneten Preissenkungstabelle enthalten sind: "Cellba" ist immerhin mit 33 Positionen vertreten (Reinelt, S. 133). Das ist, so Christine Spiller, Leiterin des Deutschen Spielzeugmuseum in Sonneberg, insofern bemerkenswert, als die meisten Zelluloidpuppen-Hersteller die Produktion in den Kriegsjahren beenden und auf "kriegswichtige Produktion" umstellen mussten. "Cellba", die nach eigener Auskunft der zweitgrößte deutsche Produzent war, musste seine Puppenproduktion nur einschränken und stellte nun u.a. auch Nebelwerfer her. (Reichart, S. 29)

Nach dem Krieg wurde das Zelluloid von weniger feuergefährlichen Werkstoffen abgelöst. 1967 kaufte der amerikanische Spielzeug-Konzern Mattel die "Cellba". Der Markenname verschwand und in Babenhausen wurden Barbiepuppen aus Vinyl hergestellt.

SA-Werbung und Führerkult

Schon die Wahl einer Puppe in der Uniform der Terrortruppe der NSDAP scheint uns heute befremdlich. Noch befremdlicher, aus Sicht der Propagandastrategen aber konsequent war die ebenfalls in unserem Bildarchiv dokumentierte Ausstaffierung von kleinen Jungen in Mini-SA-Uniformen. Wenn Hitler vorfuhr, wurden sie vorgeführt. Auch hier griffen die Initiatoren auf die bekannte Ikonografie von kleinen Soldaten und Kämpfern zurück, die während des Ersten Weltkriegs massenweise auf Postkarten Verbreitung gefunden hatten.

Wenn der "Führer" zu Besuch kam, wurden Kinder selbst zu Püppchen und Dekoration, um den Mythos des kinderlieben Familienmenschen Adolf Hitler zu verbreiten – und nach 1933 vielleicht auch die Mär von der staatstragenden Harmlosigkeit der früher berüchtigten Schläger.

Die Botschaft an die Kleinsten in der "Volksgemeinschaft" war klar: Gehe zur SA – und Du wirst eines Tages den "Führer" sehen!


Zum Weiterlesen:

Insa Fooken: Puppen – heimliche Menschenflüsterer. Ihre Wiederentdeckung als Spielzeug und Kulturgut, Göttingen 2012

Huster, Gabriele: Spielzeug im Berlin Museum, Berlin 1988

Postert, André: Kinderspiel, Glücksspiel, Kriegsspiel. Große Geschichte in kleinen Dingen. 1900-1945, München 2018

Reichart Hermine: Im Zeichen der Nixe. Bd. 2: Cellba-Puppen (Babenhausen einst und jetzt, Beiheft 6, hrsg. v. Heimat und Geschichtsverein), Babenhausen 2010

Reinelt, Sabine: Puppen und Spielzeug aus Zelluloid, Weingarten 1985

Wittenberger, Georg: Im Zeichen der Nixe. Bd. 1: Die Familie Schöberl in Babenhausen, (Babenhausen einst und jetzt, Beiheft 5, hrsg. v. Heimat und Geschichtsverein), Babenhausen 2010

Spielzeug – Gefährten der Kindheit (deutschlandfunkkultur.de)

LeMO NS-Regime – Alltagsleben – NS-Kinderspielzeug (dhm.de)

Vom Sammlerstück zum Gefährten: Die Geschichte der Puppe (tagesspiegel.de)


Reihe "Ans Licht geholt – aus der Sammlung des Dokumentationszentrums"

Text, Fotos und Recherche: Daniela Harbeck-Barthel
30.09.2024
Textlizenz: CC BY SA 4.0
© Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

Die Bilder dürfen nur nach Rücksprache mit dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände genutzt werden!
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Danke für wertvolle Hinweise und Unterstützung an Christiane Reuter und Mascha Eckert vom Spielzeugmuseum Nürnberg, an Ine Reichart vom Heimat- und Geschichtsverein Babenhausen und an Christine Spiller, Leiterin des Deutschen Spielzeugmuseums in Sonneberg.