- Hersteller:
Photo-Harren, Nürnberg
- Datierung:
um 1934, bei einem Reichsparteitag
- Material:
Originalabzug auf Fotopapier
- Maße:
7 cm breit, 9,5 cm hoch
- Beschreibung:
zeitgenössischer Fotoabzug mit gewelltem Rand und Stempel "Photo Harren Nürnberg Färberstraße und Allersbergerstraße" auf der Rückseite
- Sammlungsnummer:
DZ-Ph 1306-01
Ein kleines, dem Dokumentationszentrum 2020 übergebenes Foto zeigt Adolf Hitler beim Betreten des Hotels Deutscher Hof, im Hintergrund sind Wachen der Leibstandarte Adolf Hitler zu erkennen. Scheinbar liebevoll berührt er ein dort wartendes Mädchen im Gesicht. Bei diesem Motiv handelt es sich um eine Bildikone, die unter anderem vom Medienunternehmen Heinrich Hoffmann verbreitet wurde, das maßgeblich die visuelle Propaganda des Nationalsozialismus bestimmte.
Der kinderliebende Hitler – eine Bildikone des Fotografen Heinrich Hoffmann
Der erste Fotoband von Heinrich Hoffmann über Adolf Hitler nach der Machtübertragung im Januar 1933 hat den Titel Jugend um Hitler und sollte die besondere Verbundenheit Hitlers mit "seinem" Volk durch die angeblich besonders starke Liebe Hitlers zu Kindern zeigen. In dem Bildband sind – ungewöhnlich für die oft auf Männer und vorgebliche Männlichkeit ausgerichtete nationalsozialistische Propaganda – mindestens genauso viele Mädchen wie Jungen zu sehen, die alle dem rassistischen Ideal des Nationalsozialismus entsprachen. Die Bildunterschrift unter einer Doppelseite lautet bezeichnenderweise: "Viele deutsche Stämme… aber eine Rasse" (In späteren Auflagen wurde dies geändert in "Viele deutsche Stämme… aber eine Jugend").
Die zahlreichen Fotos von Hitler mit Kindern waren ein Ersatz dafür, dass der kinderlose Adolf Hitler, der offiziell auch keine Beziehung mit einer Frau hatte und angeblich ohne Privatleben nur Deutschland diente, nicht als Familienvater an der Spitze des Staates gezeigt werden konnte. Das Medienunternehmen Hoffmann produzierte zudem zahlreiche Postkarten, die Hitler mit Kindern zeigen, etwa die Kinder von Joseph Goebbels bei der Gratulation zu Hitlers Geburtstag und viele andere derartige Situationen.
"Bernile" – Hitler und ein Mädchen mit jüdischer Großmutter
Eine Szenerie brachte das Medienunternehmen Heinrich Hoffmann allerdings in Schwierigkeiten. Sie zeigt eine besonders innige Beziehung Hitlers mit einem Mädchen am Berghof auf dem Obersalzberg. Das abgebildete Mädchen Bernhardine Nienau ("Bernile") hatte wie Hitler am 20.April Geburtstag, begegnete deshalb Hitler an diesem Tag und wurde "auserwählt", kurz mit Hitler Eis zu essen. Ein daraufhin einsetzender Briefverkehr, von der Mutter gesteuert, sollte der Familie "Berniles" Vorteile bringen. In dem Bildband Jugend um Hitler von 1934 kommt "Bernile" mit fünf ganzseitigen Fotos als Abschluss des Buchs prominent platziert vor. Bernhardine Nienau war aber, wie sich später herausstellte, die Enkelin einer Jüdin, so dass Hoffmann von der Bayerischen Politischen Polizei und auch von Martin Bormann, dem Sekretär Hitlers, aufgefordert wurde, die Geschichte von Hitler und seinem Mädchen "Bernile" nicht weiter zu verbreiten. Hoffmann hielt sich nur zögernd daran und verkaufte Postkarten mit "Bernile" auch in Neuauflage zunächst weiter. Der weitere Kontakt Hitlers mit der Familie Nienau wurde aber von Martin Bormann unterbrochen. Auch Hoffmann passte sich an: In späteren Auflagen des Buches Jugend um Hitler wurde "Bernile" durch andere Mädchen ersetzt. Es war für die nationalsozialistische Propaganda vom "Führer", der angeblich besonders Kinder liebt (und umgekehrt), egal, wer das reale Mädchen auf dem Bild war. Ein Mädchen mit jüdischer Großmutter sollte es aber natürlich nicht sein.
Eine Nürnberger Nachahmung
Das Foto in der Sammlung des Dokumentationszentrums stammt nicht vom Medienunternehmen Heinrich Hoffmann, sondern aus dem Fürther Fotogeschäft Harren, das in Nürnberg zwei Filialen besaß. Es handelt sich um ein ungeplant entstandenes Foto: Das Mädchen Anneliese Haberrecker wohnte ganz in der Nähe des Hotels Deutscher Hof in der Sandstraße 29, war offensichtlich neugierig und versuchte, wie viele junge und ältere Menschen damals, einen Blick auf "den Führer" zu erhaschen. Dies gelang ihr vor dem Hotel Deutscher Hof, und im Vorbeigehen berührte sie Hitler, routiniert im öffentlichen Auftritt, im Gesicht.
Ein Fotograf des Fotogeschäftes Harren hat diesen Moment festgehalten und dann Abzüge mit der Bildnummer 33 in den Schaufenstern der Filialen zum Verkauf angeboten. Harren produzierte auch viele Postkarten von den Reichsparteitagen – eine von mehreren kleinen lokalen Konkurrenzunternehmen zum Medienkonzern Heinrich Hoffmann, der den überregionalen Medienmarkt dominierte. Ein Arbeitskollege des Vaters machte die Familie auf das Foto der Tochter mit Hitler in der Auslage einer Filiale des Fotogeschäfts Harren aufmerksam, der Vater kaufte das Foto und so gelangte es in den Besitz des abgebildeten Mädchens. Ihr Bruder übergab das Foto viele Jahre später aus dem Nachlass seiner Schwester 2020 dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände und berichtete über die Herkunft des kleinen Bildes.
Quellennachweis und zum Weiterlesen:
Rudolf Herz: Hoffmann & Hitler. Fotografie als Medium des Führer-Mythos, München 1994, S. 248-252
Albert A. Feiber/ Hartmut Mehringer/ Horst Möller (Hg.): Die tödliche Utopie. Bilder, Texte, Dokumente, Daten zum Dritten Reich, Berlin 2010, S. 127 (Bernile, das 'deutsche Mädel')
Ein weiteres Produkt Hoffmanns in der Sammlung des Dokumentationszentrums
Ans Licht geholt: Daumenkino 1929
Reihe "Ans Licht geholt – aus der Sammlung des Dokumentationszentrums"
Text und Recherche: Alexander Schmidt
09.07.2020
Textlizenz: CC BY SA 4.0
© Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
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