- Hersteller:
Heinig Verlag, Wiesbaden
- Datierung:
1933
- Beschreibung:
Ganzseitige schwarz/weiß-Bildtafel in dem propagandistischen Buch "Volk ans Gewehr. Das Buch vom neuen Deutschland"
- Maße:
24cm breit, 16 cm hoch
- Sammlungsnummer:
D-0361
Beim Reichsparteitag 1933 sah man über den zehntausenden SA-Männern in der Luitpoldarena eine ungewöhnliche Szene: Auf dem Dach des Ehrenmals für die Toten des Ersten Weltkriegs stand ein Maler mit seiner Staffelei. Es handelte sich um Ernst Vollbehr (1876-1960), der als offizieller Ehrengast Hitlers den "Reichsparteitag des Sieges" mit vor Ort geschaffenen Bildern dokumentieren sollte. Die Szenerie mit dem "Maler des Nürnberger Parteitags", so ein zeitgenössischer Zeitungsbericht, war auch selbst Teil nationalsozialistischer Propaganda: Ein Foto der Malarbeiten wurde in dem Band "Volk ans Gewehr" ganzseitig veröffentlicht und Vollbehr als Schöpfer einer neuen "Blüte der Geschichtsmalerei" vorgestellt.
Ein Maler zensiert sich selbst – die Luitpoldarena 1933 und 1934 von Ernst Vollbehr
Man erkennt auf dem ganzseitig reproduzierten Foto, dass Vollbehr noch während des Totengedenkens, das ab 1933 zum festen Ritual des Reichsparteitags gehörte, sein Bild weitgehend fertiggestellt hat. Auf dem Gemälde sind Adolf Hitler und der damalige SA-Chef Ernst Röhm zu sehen, wie sie vor dem großen Gedenkkranz im Hof des Ehrenmals verharren. Im Hintergrund sind tausende SA-Männer angetreten.
Das Gemälde wurde Ende 1933 in einer Zeitschrift abgedruckt, das Original ist aber im Unterschied zu anderen 1933 beim Reichsparteitag entstandenen Bildern Vollbehrs verschollen. Der Grund dafür könnte die prominente Positionierung von Ernst Röhm direkt neben Hitler sein. Röhm, den Hitler beim sogenannten "Röhmputsch" im Juni 1934 als Konkurrent um die Macht ermorden ließ, wurde seitdem in der Propaganda totgeschwiegen. Auch im Werk Ernst Vollbehrs wurde Röhm ersetzt: In einem Gedenkband zum Reichsparteitag 1934 ist als große Farbtafel ein Gemälde Ernst Vollbehrs beigefügt, das dieselbe Szenerie aus derselben Perspektive wie 1933 in der Luitpoldarena zeigt – nur sind nun statt des ermordeten Ernst Röhm neben Hitler der neue SA-Chef Viktor Lutze und der "Reichsführer SS" Heinrich Himmler zu sehen. Vollbehr stand aber im September 1934 nicht noch einmal mit seiner Staffelei auf dem Dach der Ehrenhalle, sondern dokumentierte zur gleichen Zeit mit Pinsel, Farbe und Leinwand in Sachsen Baustellen der Reichsautobahn. Das Bild vom Reichsparteitag 1934 ist also nach dem eigentlichen Ereignis auf Basis einer Fotografie entstanden – ein absolut unübliches Verfahren im Werk Vollbehrs und deutlicher Beleg dafür, dass er hier eine Anforderung nationalsozialistischer Propaganda zu erfüllen hatte, nämlich das Bild mit Ernst Röhm zu ersetzen.
Ernst Vollbehr – Reisender in aller Welt
Der 1876 in Kiel geborene Vollbehr hatte 1933 schon eine lange Karriere als Produzent zahlloser schnell gemalter, dokumentarischer Bilder hinter sich. Nach einer Lehre als Theatermaler und Studienjahren an den Akademien in Berlin, Dresden und Paris arbeitete er u.a. als Illustrator für die Zeitschrift Jugend. Zeit seines Lebens unternahm Ernst Vollbehr viele Malreisen, vor dem Ersten Weltkrieg nach Albanien, Brasilien und in die vier deutschen Kolonien Deutsch-Südwestafrika, Deutsch-Ostafrika, Kamerun und Togo. Dabei kamen hunderte Bilder zusammen. Im Ersten Weltkrieg malte er an der Westfront in Frankreich und schuf über tausend weitere Gemälde und Skizzen des Kriegsgeschehens – zumindest von der Masse her ein bedeutendes Werk.
Zunächst gelang es Vollbehr nicht, sein malerisches Werk aus dem Ersten Weltkrieg gewinnbringend zu veräußern. Trotzdem schuf er unverdrossen weiter neue Gemälde, vor allem Landschaftsbilder, in Deutschland u.a. vom Flugzeug oder vom Zeppelin aus sowie auf Reisen in verschiedenen Ländern Asiens. Auch in Nürnberg hat Vollbehr in den 1920er Jahren gearbeitet – unter anderem als Industriemaler in den Bing-Werken und bei der Lebkuchenfabrikation von Häberlein-Metzger.
Maler des Reichsparteitags im Auftrag Hitlers
Die Machtübergabe an Hitler 1933 erlebte Vollbehr in den USA. Der Kontakt zu Hitler samt einer ersten persönlichen Begegnung, die noch im selben Jahr zustande kam, bedeutete für ihn den Durchbruch: Hitler veranlasste nicht nur den Ankauf von Vollbehrs Weltkriegsbildern, sondern beauftragte ihn auch, den Reichsparteitag 1933 malerisch zu dokumentieren. Begeistert trat Vollbehr der NSDAP bei. Eines seiner Bilder vom Reichsparteitag 1933, der Aufmarsch auf dem Hauptmarkt, wurde vom NSDAP-Verlag Eher aufwendig als Kunstblatt gedruckt und unter der Überschrift "Ein Führer – ein Volk" zum Schmuck "für jedes deutsche Haus" empfohlen. In den folgenden Jahren dokumentierte Vollbehr im Auftrag des Generalinspekteurs für das Straßenwesen Fritz Todt eine große Zahl von Autobahnbaustellen und veröffentlichte darüber sein Buch "Arbeitsschlacht", zu dem er nicht nur die Bilder lieferte, sondern auch den Text schrieb.
Ernst Vollbehr kehrte 1936 nochmals nach Nürnberg zurück, malte unter anderem die bläulich schimmernde Lichtinszenierung des "Lichtdoms" am Zeppelinfeld und hatte im Begleitprogramm des Reichsparteitags eine Ausstellung in der Städtischen Galerie mit Bildern der Reichsparteitage und vor allem der Reichsautobahnen. Zwischen 1936 und 1939 schuf Vollbehr, wohl im Auftrag des Zweckverbands Reichparteitag Nürnberg, Gemälde von den Baustellen des Geländes. 58 Werke Vollbehrs mit Motiven des Zeppelinfeldes und der Kongresshalle bis hin zum Lagergelände und dem Bau der Wasserversorgung verwahrt heute das Stadtarchiv Nürnberg im Bestand des Zweckverbands, der Bauherr des Reichsparteitagsgeländes war. Vollbehr hatte auch privat gute Kontakte nach Nürnberg und war mit der Familie von Paul Bayer, dem Chef der Städtischen Werke, befreundet. Ein Exlibris für dessen Ehefrau Lydia Bayer, deren gleichnamige Tochter Gründerin des Nürnberger Spielzeugmuseums war, sowie ein kleines über Ernst Vollbehr zusammengestelltes Album im Nachlass Paul Bayers im Stadtarchiv Nürnberg zeugen davon.
Auch der Zweite Weltkrieg bedeutete keinen Bruch im Werk des Künstlers: Vollbehr betätigte sich erneut als Kriegsmaler – unter anderem in einem Bomberflugzeug liegend über dem brennenden Warschau.
Ein angeblich unpolitischer Künstler? – Ernst Vollbehr nach 1945
Bis zu seinem Tod 1960 war Ernst Vollbehr, wie manch anderer Künstler auch, nicht in der Lage, die eigene Rolle im Nationalsozialismus wirklich zu reflektieren. Als Produzent im Dienste des NS-Regimes von zahlreichen Gemälden, Büchern und Postkarten hat er sich nach 1945 weder zu seiner maßgeblichen Beteiligung an der nationalsozialistischen Bildpropaganda, noch zu seinen Kriegsbildern, die Gewalt und Grauen beider Weltkriege weitgehend ausblenden, je selbstkritisch geäußert. Auch sein letztlich nationalistisch-kolonialer Blick auf die Länder Afrikas und Asiens war für ihn kein Thema. So bleibt ein künstlerisch durchschnittliches, aber ausgesprochen antimodern angelegtes Werk, das vor allem durch Masse besticht. Seine Bilder stellen qualitativ keine neue "Blüte der Geschichtsmalerei" dar, sind aber eine wichtige Quelle für Kunst, die sich in den Dienst des Nationalsozialismus stellte und dabei vorgab, nur Kunst und kein politisches Statement zu sein.
Weiterlesen, weiterforschen:
Gerhard Paul: Bilder einer Diktatur. Zur Visual History des "Dritten Reiches", Göttingen 2020 (S. 111-119: "'Lichtdom' in blau – Ernst Vollbehrs Ästhetisierung der Inszenierung")
Konrad Schuberth: Ernst Vollbehr. Maler zwischen Hölle und Paradies, Halle 2017
Reihe "Ans Licht geholt – aus der Sammlung des Dokumentationszentrums"
Recherche: Alexander Schmidt (mit Hinweisen von Konrad Schuberth)
Text: Alexander Schmidt
01.06.2021
Textlizenz: CC BY SA 4.0
© Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
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