Kriegsweihnacht mit selbstgemachtem Christbaumschmuck

Engel durften auch an einem selbstgebastelten Weihnachtsbaum nicht fehlen. (DZO 0034-01/02)
Klassiker bis heute sind Sterne, Herzen und der Weihnachtsmann. (DZO 0034-03a,-c/04/05a-c)Kindheitserinnerungen weckten Teddybär, Zwerg und Kasperl. (DZO 0034-06/07/08)Eher ungewöhnlich am Weihnachtsbaum einer Familie macht sich die definitiv weltlichen Motive Mönch mit Bier, Glückschwein und Gambrinus. (DZO 0034-09/10/11)Die rote und blaue Rückseite des selbstgebastelten Weihnachtsschmucks. (DZO 0034)Nur für eine Soldatenweihnacht geeignet: der brüllende Vorgesetzte und der Wegweiser "Zur Heimat". (DZO 0034-12/13)
Hersteller/ Herkunft:

Privatbesitz; Schenkung 2012

Beschreibung:

23-teiliges Weihnachtsschmuck-Ensemble. Verschiedene Motive, ausgeschnitten aus roter und blauer Pappe, die farbfreie Rückseite mit Buntstift bemalt und mit Bleistift und Tinte konturiert

Material:

Karton und Metallöse zur Befestigung der drehbaren Kartonscheibe

Maße:

zwischen 8 - 20 cm Höhe und 6,5 - 15 cm Breite

Sammlungsnummer:

DZO-0034

Plätzchenausstecher in Hakenkreuzform, Weihnachtsschmuck mit Hitlerkopf und Kugeln mit Hakenkreuz – auch vor dem traditionsreichsten christlichen Fest machte die nationalsozialistische Propaganda nicht Halt. Um die NS-Ideologie im Alltag zu platzieren. bot gerade das Weihnachtsfest mit seiner Brauchtumsvielfalt reichlich Angriffsfläche für Umdeutungen. Feier, Lichtsymbolik und Geschenke sollten beibehalten, die christlich-jüdische Basis des Festes aber von einem neuen, am germanischen Jul-Fest zur Wintersonnwende angelehnten Kult abgelöst werden. Da war es nur folgerichtig, dass Christus der Retter", wie es im Refrain von "Stille Nacht" heißt, auf Briefmarken der Reichspost 1937 durch "Unser Führer der Retter ist da" ausgetauscht wurde.

 

Es ist nicht ganz klar, inwieweit die NS-Propaganda in der Breite der beschworenen "Volksgemeinschaft" verfing. Jul-Leuchter statt Weihnachtskerzen dürfte in den deutschen Haushalten aber eher eine Seltenheit gewesen sein. Mit Kriegsbeginn 1939 wurde manche Neuerung sogar wieder zurückgenommen. Es stand zu befürchten, dass Menschen, die den Tod des Ehemanns, Bruders oder Vaters an der Front beklagten, verstärkt Trost im Glauben suchen würden. Deshalb wurde Weihnachten zu einem Fest des Helden- und Totengedenkens umgedeutet. Rundfunkansprachen vermittelten ein perfekt inszeniertes Bild von den Feiern an den Kriegsschauplätzen mit dem Weihnachtsbaum im Zentrum. Die besondere Überhöhung der Soldatenweihnacht war im Ersten Weltkrieg aufgekommen. Nun sollte sie angesichts der Verschlechterung der politisch-strategischen Lage vor allem an der Ostfront 1942/43 dazu beitragen, die Kampfmoral der Soldaten aufrecht zu halten.

An einem Frontabschnitt im Osten entstand um diese Zeit eine einmalige Sammlung von Weihnachtsschmuck, die der Vater von Peter Wustmann entworfen, ausgeschnitten und bemalt hatte. Bei der Übergabe des handgemachten Erbstücks an das Dokuzentrum 2012 gab Wustmann zu Protokoll: Der Vater habe damit seinen Kameraden während der von Lebensgefahr und Einsamkeit geprägten Kriegsweihnachten ein bisschen Heimatgefühl vermitteln wollen.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass einige Motive nach Kriegsende sogar den Christbaum der Familie in Franken schmückten, denn hie und da war der schwarze Bindfaden zum Aufhängen durch feinen Silberdraht ausgetauscht worden.

Erwartbar in diesem 23-teiligen Konvolut sind acht gelb-rot bemalte Sterne mit verschieden gezackten Spitzen, die Leuchtpunkte am Weihnachtsbaum gesetzt haben dürften. Erwärmend wirkten sicher auch vier rote Herzen mit gelben Flammen, die eher an die "Heiligste Herz Jesu"-Ikonographie erinnern als an Sonnwendfeuer. Zu diesem Formen- und Farbenkanon gehören auch zwei Engel: Ein blondgelockter im Querformat, der sich, erstaunlich muskulös ausgestattet, auf seiner Wolke aufstützt und ein schwebender mit eher weiblichen Formen, der geradewegs in den Himmel aufzusteigen scheint.

Zu den an weihnachtliche Symbolik angelehnten Motiven zählt auch ein grimmig dreinblickender Weihnachtsmann oder Nikolaus mit dem Geschenke-Sack über der Schulter, der, auf seinen Stab gestützt, kräftig ausschreitet.

Zu einer eher neutralen, aber ebenfalls sehr vertrauten Figurengruppe, deren Motive durch ihre Größe den Weihnachtsbaum dominiert haben dürften, gehören der Teddybär mit 19 cm Höhe, der lachende Kasperl mit 20 cm und der knorrige Zwerg mit Laterne mit 15 cm. Sie sind dem klassischen Kinder- und Märchen-Kosmos entnommen, der zum Erinnerungsschatz der Soldaten an eine unbeschwertere Zeit gehörte.

Am Übergang zur dritten, soldatisch geprägten Gruppe steht ein weiteres Querformat: Das Glücksschwein. Es ist recht verschmitzt und naturgetreu mit Zitzen, Borsten, Ringelschwänzchen, (zu) großen Ohren und mit einem vierblättrigen Kleeblatt im Rüssel dargestellt. Ohne Fortüne war man im Kriegseinsatz verloren, deshalb durfte dieser Glücksbringer auf keinen Fall an einem Weihnachtsbaum für Soldaten an der Front fehlen.

Dass man das Leben beim Militär und zumal im Kugel- und Bombenhagel im Kriegseinsatz wohl nur mit alkoholischer Unterstützung aushalten konnte, deuten die beiden nächsten Motive an: ein fröhlicher Mönch mit geröteten Wangen, der einen Krug vom Münchner Hofbräuhaus vor sich herträgt, und ein Bacchus oder Gambrinus. Dem fehlt zwar ein halber Arm, die einzige signifikante Beschädigung an dem über 80 Jahre alten fragilen Weihnachtsschmuck, was ihn aber nicht hindert, sich mit nacktem Oberkörper ekstatisch lachend aus seinem Wein- oder Bierfass heraus nach hinten zu beugen.

Dass die Truppe mit genügend Spirituosen und Tabak gerade zu Weihnachten versorgt wurde, ist in Frontbriefen aus der Sammlung des Dokuzentrums belegt. So schreibt der unterfränkische Soldat Josef Leimig in einem Brief vom 24. Dezember 1944 von einem Dorf in der Slowakei an seine Frau: "Und so ist für uns die erste Weihnachtsbescherung von der Batterie aus am Samstag gewesen [um] 18.10 Uhr. Es waren für die 65 Rekruten in der Schule ein schöner Baum und die Schule geschmückt und in 4 Tischreihen eng aneinandergelegt, was wir nicht erwartet haben. Ein 3-4 Pfund schwerer Christstollen mit Rosinen gebacken von unseren Küchenkochs - sehr gut; 1 große, 20 cm lange Bratwurst, 1 Rolle Drops, 3 Rasiermesser, 5 Äpfel, 20 Pfefferminzplättchen, 20 Honigplätzchen, 1 Weihnachtsgeschichtenbuch, 13 Stück Zigaretten, [für] 7 Mann 1 Flasche Branntwein [und] Lebkuchen."

 

 

Beim Mönch wie bei fast allen anderen personalisierten Motiven des Schmucks für den Weihnachtsbaum der Truppe ist durch die Form und die in die Bemalung mit Bleistift und Tinte eingetragenen Linien auf gekonnte Weise Plastizität und Bewegung angedeutet. Möglicherweise besaß der Zeichner grafische Kenntnisse. Da störte das hie und da sicher aufblitzende Rot und Blau der Kartonrückseite kaum, allen war schließlich bewusst, dass das kein Schmuck "von der Stange war", sondern ein Unikat.

Dezidiert zur Lebenswelt der Soldaten gehörten die Vorgesetzten. Sie fehlen in keinem Erinnerungsalbum an Militärzeit und Krieg. Während sie in diesen Kontexten ihrem höheren Rang entsprechend immer höflich-distanziert in Szene gesetzt sind, traute sich Hobby-Künstler Wustmann seinen "Christbaum-Kapo" realistischer darzustellen: als Pedant, mit weit geöffnetem Mund, in zackig-verspannter Haltung und mit den Vorschriften unter dem Arm. Wenn der am Weihnachtsbaum "aufhängt" war, konnten alle Soldaten gemeinsam darüber lachen, was das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkte und am 24. Dezember wohl auch ohne weitere Konsequenzen geblieben ist.

Wie sehr der militärische Drill belasten konnte, zeigt ein weiterer Brief von Soldat Josef Leimig vom 13. Dezember 1944 an seine Frau: "Wir sind bis jetzt bei der Artillerie und haben stramme aktive Vorgesetzte, da heißt es nur Laufschritt und Aufpassen, sonst ist es bald Scheiße oder kalter Arsch. Ja, jetzt weiß man, was [das] heißt, Frontsoldat [zu sein]."

Am prägnantesten sind die Gedanken, Wünsche und Hoffnungen der Soldaten zur Kriegsweihnacht aber im letzten Symbol von 19.5 cm Höhe zusammengefasst: Auf einem Wegweiser mit Fingerzeig Richtung Westen läuft ein Soldat frohgestimmt und mit Pfeife im Mund der Heimat entgegen.

Bei der Betrachtung dieses ganz besonderen Sammlungsobjekts des Dokumentationszentrums ist auch heute noch gut vorstellbar, dass Wustmann mit seinen kleinen und großen, der weihnachtlich-märchenhaften und der soldatisch-weltlichen Sphäre entnommenen Figurenwelt aus bemalter Pappe die Stimmung in der Truppe tatsächlich heben konnte. Vielleicht gelang es ihm sogar, durch die humorvollen Bezüge auf den Soldatenalltag den freilich nur verklausuliert dargestellten Gefühlen Demütigung, Todesangst und Heimweh ein Ventil zu verschaffen und durch den vertrauten weihnachtlichen Motivkanon gleichzeitig einen Funken Hoffnung auf baldige Heimkehr zu entzünden.


Zum Weiterlesen:

Manfred Gailus: Gläubige Zeiten: Religiosität im Dritten Reich, Freiburg 2021

Judith Breuer/ Rita Breuer: Von wegen Heilige Nacht. Das Weihnachtsfest in der politischen Propaganda, Mühlheim an der Ruhr 2000

Reihe "Ans Licht geholt – aus der Sammlung des Dokumentationszentrums"

Text: Daniela Harbeck-Barthel
17.12.2021
Textlizenz: CC BY SA 4.0
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