- Objekt-Konvolut:
Winterhilfswerkabzeichen, Sammlung Wolfgang Gatzka
- Datierung:
Oktober 1933 - März 1943
- Signatur:
TSK Gatzka-2020
- Sammlungszugang:
2020
Was haben Trachten, germanische Schilde, Papierblumen und Weihnachtsschmuck gemeinsam? Sie alle waren Teil des Figuren- und Abzeichen-Kosmos, die man im nationalsozialistischen Deutschland gegen eine Spende für das Winterhilfswerk erwerben konnte. Zu den Verkäufer*innen auf den Straßen, aber auch in Lokalen und direkt an den Wohnungstüren gehörten Mitglieder des Bund deutscher Mädel und der HJ. Ganze Schulklassen schwärmten aus und Mitglieder der SS sowie Beamte und NS-Prominenz klapperten mit der roten Sammelbüchse. Die kleinen Abzeichen trugen sie in einem Bauchladen mit sich. So kamen zwischen Winter 1933 und 1943 jedes Jahr Einnahmen in Millionenhöhe zusammen, die durch Spenden aus Kulturveranstaltungen, Lotterien und sogenannten Eintopfsonntagen ergänzt wurden.
Hilfe nur für "Volksgenossen"
Seit den ausgehenden 1920er Jahren verarmten durch die Weltwirtschaftskrise, die darauffolgende Inflation und gleichzeitig zurückgehende wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen immer mehr Menschen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten begann Propagandaminister Joseph Goebbels im August 1933 mit der Planung einer neuen Hilfsorganisation. Adolf Hitler persönlich eröffnete kurz darauf das erste Winterhilfswerk. Organisatorisch wurde es der NS-Volkswohlfahrt und deren Leiter Erich Hilgenfeldt unterstellt.
Jedoch nicht alle Bedürftigen hatten Anspruch auf den Spendenerlös. Menschen, die durch die Ideologie der Nationalsozialist*innen als nicht "arisch" identifiziert und damit degradiert wurden, konnten keine Hilfeleistungen beziehen. Ein Bericht der Sammlungsstelle Düsseldorf von 1933 rechtfertigt den Ausschluss der jüdischen Bevölkerung folgendermaßen: "Für die jüdischen Unterstützungsempfänger war typisch, dass sie sich im Allgemeinen nicht in die Ordnung und Disziplin, die bei der Ausgabe von Gutscheinen und Sachspenden aufrechterhalten werden musste, fügen konnten" (Gaubericht Düsseldorf 1933/34, S. 98ff.).
Die Beteiligung an der Spendensammlung war offiziell freiwillig, der staatliche Druck aber spürbar: Durch das öffentlich beworbene Tragen und zur Schau stellen der Spendenabzeichen am Mantelrevers oder am Türstock der Wohnung fielen die auf, die keine Abzeichen trugen und sich somit nicht öffentlich als ein Teil der "Volksgemeinschaft" auswiesen. Die wachsende gesellschaftliche Verankerung des Winterhilfswerks, aber auch das starke Bedrängen durch die kindlichen oder parteiamtlichen Spendensammler*innen erschwerten eine Verweigerung beträchtlich.
Die Winterhilfswerkabzeichen als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme
Die Abzeichen des Winterhilfswerks wurden primär durch Menschen gefertigt, die in Notstandgebieten lebten. Auf maschinelle Produktion wurde weitgehend verzichtet und viele der Abzeichen entstanden in Heimarbeit. Sie wurden in Serien herausgegeben, in denen sich die Bandbreite der NS-Ideologie spiegelte. Germanische Symbole sind immer wieder vertreten, aber auch Figürchen mit Trachten aus Wien, dem Schwarzwald oder der Oberpfalz. Als "völkisch" deklarierte Berufe, die für ein bodenständiges, nicht industrialisiertes Deutschland stehen sollten, wie Bauer und Bäuerin, Schornsteinfeger, Metzger und Handwerker wurden seriell produziert und regelmäßig hergestellt.
Der Verkauf der WHW-Abzeichen sollte möglichst viele Menschen erreichen und damit hohe Spendeneinnahmen erzielen. Deshalb boten sie einen von den Nazis definierten Querschnitt durch Themen und Interessensgebiete der propagierten "Volksgemeinschaft". Für die "deutsche Hausfrau" gab es Broschen mit Heilkräutern, die selbst im Wald gesammelt werden konnten. Für die Jungen konnten die Eltern Kriegsspielzeug und "männlich" konnotierte Berufsbilder im Kleinstformat kaufen. Für die Mädchen gab es kleine Puppen, Blumen und Büchlein mit Märchen.
Je nach Jahreszeit, Feiertag oder anstehender Großveranstaltung wurden neue Abzeichen herausgegeben. Im Dezember gab es Schmuck aus Holz oder Ton für den Weihnachtsbaum, aber auch Besonderheiten wie Ansteckbroschen aus Bernstein. An politisch motivierten Ereignissen, wie dem Tag der Polizei oder dem Tag der Wehrmacht, zeigten die Serien werbewirksam Verkehrszeichen bzw. winzige Soldaten aus Leichtmetall an der Flugabwehrkanone oder mit Gewehr.
Nationalsozialistischer Germanenkult
In den Abzeichen-Serien des Winterhilfswerks finden sich immer wieder Motive aus dem Germanenmythos. Im November 1939 konnte eine Serie von germanischen Schwertern gegen Spende erworben werden, im Februar 1941 standen germanische Tierkreiszeichen zum Verkauf. Gegen Ende des Krieges intensivierte sich diese Ausrichtung und es wurden germanische Zeichen, Schilde und weitere Waffen als Sammelabzeichen produziert.
Dass die Nationalsozialist*innen den Germanenmythos aufgriffen und popularisierten, wirkt nicht verwunderlich. Die absolute Übersteigerung des Nationalgefühls und die Propagierung einer "völkischen" Ideologie findet einen Bezugspunkt auch in der Kultur der Germanen, die als Übermenschen ihre Kräfte mit den Göttern messen und als ein "Volk" kämpfen.
Für die Nazis eignete sich dieser Kult perfekt, um die germanisch-nordische zu einer "arischen Rasse" zu erheben. Germanische Begriffe wie "Gau" und "Sippe" wurden wieder aufgegriffen, um die Gemeinschaft und den Zusammenhalt der Deutschen zu demonstrieren. Auf dem Höhepunkt des Krieges sollten WHW-Serien mit germanischen Themen die Solidarität untereinander stärken und den Glauben vermitteln, sie seien die direkten Nachfolger*innen der Germanen. Faktisch ist das aber falsch. Die deutsche Nation entstand durch viele verschiedene Einflüsse aus ganz Europa, wie die der griechischen und römischen Kultur, aber auch aus dem slawischen Bereich. In der NS-Zeit wurde dies aus ideologischen Gründen ausgeblendet. Der Mythos der Germanen diente stattdessen als ein weiteres Instrument der Propaganda, um die Menschen an die politische Führung zu binden.
Rassismus und Kriegspropaganda
Obwohl sie nur klein sind und vorranging zur Sammlung von Spenden verkauft wurden, dienten die Abzeichen als Instrument zur Verbreitung der NS-Ideologie in allen Bevölkerungsschichten. Das kann besonders gut an den Abzeichen für Kinder gezeigt werden. Gatzka besitzt beispielsweise die vollständige Abzeichen-Serie zu Heinrich Hoffmanns "Struwwelpeter". Die Figur eines Schwarzen Jungen aus dem Kinderbuch wird durch das Winterhilfswerk mit großen Lippen, barfuß und mit Strohhut und einem "dümmlichen" Gesichtsausdruck dargestellt. Damit implementierte sie schon bei den Kleinsten ein falsches Stereotyp und hielt rassistische Vorurteile aufrecht.
Der Zweite Weltkrieg zeigte sich nicht nur an der steigenden Zahl von soldatischen Spielzeugfigürchen, sondern auch auf Information ausgerichtete Serien für die erwachsene Zielgruppe: Um die "deutsche Volksgemeinschaft" und die Unabhängigkeit von Importen zu stärken, erschienen zunehmend Anstecker, die für die Vorzüge heimischer Lebensmittel warben. Auf Modelle von Heilkräutern aus Wachspapier, die beispielsweise gegen Krankheiten wie Erkältung oder Fieber halfen, folgten Pilze und essbare Pflanzen, welche in heimischen Wäldern gesammelt werden konnten. So sollte gezeigt werden, wie der kriegsbedingt eingeschränkte Speiseplan ergänzt werden konnte.
"Führerkult" im Miniformat
Zu den kriegsbezogenen WHW-Objekten gehören auch die Büchlein über die Kriegserfolge des "Führers". Diese winzigen broschierten Heftchen stellen in Materialität und Inhalt eine Besonderheit dar: Reich bebildert und mit teilweise über 35 Seiten feierten sie Hitlers Leistung beim Sieg über den inneren und äußeren "Feind".
Die Buchdeckel zeigen stets Adolf Hitler, der entweder eine flammende Rede hält oder ernst in die Ferne blickt. Die kleinen Bücher dienten der Zurschaustellung der Parteierfolge u.a. bei den Reichsparteitagen. Sie widmeten sich aber auch den Erfolgen des "Führers" bei der Kriegführung.
Hitlers bevorzugter Fotograf Heinrich Hoffmann zeigte den Reichskanzler und Chef der NSDAP auch in diesem winzigen Massenmedium als Mann des Volkes, der in den Bergen auf seinem Gut Obersalzberg, umringt von kleinen Mädchen, lächelnd in die Sonne blickt.
Der Sammler und seine Ordnung in Zigarettenschachteln
Die Abzeichen des nationalsozialistischen Winterhilfswerks aus der Sammlung Gatzka sind demnach, so dekorativ sie auch gestaltet sein mögen, nicht einfach harmlose Sammelobjekte. Ihrer Funktion nach sind sie Teil der nationalsozialistischen Ideologie und Propaganda.
Wolfgang Gatzka hatte Mitte der 1970-er Jahre zu sammeln begonnen, nachdem seine Tochter nach dem Spielen mit Freunden mit einigen Abzeichen nach Hause gekommen war. 2020 traf seine über 1000 Einzelstücke umfassende Sammlung in vier großen Umzugskartons im Dokuzentrum ein. Seitdem bildet sie den Grundstock des wachsenden Bestands dieser kleinsten Propagandaobjekte aus der NS-Zeit im Depot unseres Museums.
Gatzka hatte ein ausgeklügeltes Ordnungssystem entwickelt. In kleinen Holzkisten, Zigarillo-Dosen, Warenverpackungen oder Tütchen bewahrte er seine Abzeichen auf. Hierbei beschriftete er alles fein säuberlich, sortierte die einzelnen Serien in Glas- und Holzkästen ein, um seine Sammlung zu präsentieren. Sie umfasst zahlreiche vollständige Serien, welche allerdings nicht annähernd die komplette Welt der NS-Winterhilfswerkabzeichen mit vielen regionalen Spezialserien abbildet.
Als Beleg für die Akribie mit der Gatzka seine Sammlung verwaltete, werden Teile der ursprünglichen Präsentation und Aufbewahrung auch nach der Erfassung der Einzelobjekte in der Datenbank des Dokuzentrums aufbewahrt, wie der Sammler sie präsentiert hat.
Zum Weiterlesen:
Gatzka, Wolfgang: WHW-Abzeichen, München 1981.
Hermand, Jost: Der alte Traum vom neuen Reich. Völkische Utopien und Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 1988.
Hansen, Eckhard: Wohlfahrtspolitik im NS-Staat. Motivationen, Konflikte und Machtstrukturen im "Sozialismus der Tat" des Dritten Reiches, Augsburg 1991.
Reihe "Ans Licht geholt – aus der Sammlung des Dokumentationszentrums"
Text und Recherche: Carlotta Leitner
27.12.2024
Carlotta Leitner absolvierte 2024 im Rahmen ihres Studiums der Kunstgeschichte in Erlangen ein Praktikantum im Dokuzentrum. Vielen Dank für die wertvolle Mitarbeit bei der Ersterschließung der Sammlung Gatzka und für diesen Text!
Textlizenz: CC BY SA 4.0
© Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände
Die Bilder dürfen nur nach Rücksprache mit dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände genutzt werden!
Kontaktformular