"Gertrud wächst ins Dritte Reich"
Der Reichsparteitag als Zukunftsversprechen und rührselige Erinnerung

Titelbild von Josef Sauer: Das blonde "Mädel" Gertrud und der anlässlich des Reichsparteitags geschmückte Nürnberger Hauptmarkt, 1942.
Gertrud (Mitte) lernt auf der Zeppelintribüne die neue Freundin Erika Haller (rechts) kennen. Grafik: Josef Sauer, 1942Nach dem Tod der Tante verwandelt Gertrud die Wohnung in ein "gemütliches Heim" mit großem Hitlerbild. Grafik: Josef Sauer, 1942Ein Ausflug nach Oberbayern führt die beiden Freundinnen auch zu den "Ehrentempeln" für die Toten des Hitlerputsches 1923 in München. Grafik: Josef Sauer, 1942Das junge Paar sieht im Parteitagsjubel "ein verheißendes Omen für die Zukunft". Grafik: Josef Sauer, 1942Widmung des Buches von Anna Liebel-Monninger für eine Freundin, 1942.Mann mit Puppe, Aquarell von Josef Sauer 1929. Bildnachweis: Museen der Stadt Nürnberg, KunstsammlungenKarikatur Sauers in der Schweizer Zeitschrift Eulenspielgel gegen die nationalsozialistische Ideologie, 1932.Adlerskulptur von Kurt Schmid-Ehmen in der Luitpoldarena, Tuschfederzeichnung von Josef Sauer 1937. Bildnachweis: Museen der Stadt Nürnberg, KunstsammlungenKarikatur Josef Sauers zur nationalsozialistischen Vergangenheit der Wagnerstadt Bayreuth, 1959
(aus Levec/ von Lützelburg (Hg.): Sauer macht lustig, S. 102).
Autorin:

Anna Liebel-Monninger

Titel:

Gertrud wächst ins Dritte Reich. Eine Geschichte um den Reichsparteitag

Verlag:

Julius Beltz, Langensalza – Berlin – Leipzig

Erscheinungsjahr:

1942 (2. Auflage 1943)

Buchgestaltung/Titel:

Josef Sauer

Umfang:

86 Seiten mit 28 Illustrationen

Beschreibung:

Farbig bedruckter Kartoneinband, Papier, mit persönlicher Widmung der Autorin

Maße:

21 cm hoch, 15 cm breit, 1,1 cm dick

Sammlungsnummer:

DZO 0136

Das Jugendbuch Gertrud wächst ins Dritte Reich. Eine Geschichte um den Reichsparteitag von Anna Liebel-Monninger erinnert im Design, dem Format und der gesamten Machart an die erfolgreichen, seit 1913 (und bis heute) erscheinenden Jugendbücher des Schneider-Verlags. Und auch die Geschichte folgt einem bekannten Muster: Ein jugendlicher Held (in diesem Fall eine Heldin) überwindet Probleme, die von der älteren Generation herrühren, und gestaltet das eigene Leben selbst – hier (natürlich) im neuen nationalsozialistischen Geist.

Die Autorin Anna Liebel-Monninger erzählt eine Liebesgeschichte um das Waisenkind Gertrud, das auf dem Reichsparteitag 1937 eine neue Freundin findet und auf dem darauffolgenden Reichsparteitag schließlich auch die große Liebe. Der Reichsparteitag, den sie vom Wohnhaus ihrer Tante am Hauptmarkt gut beobachten kann, ist so für sie die Chance, der Enge ihres konservativen Umfelds zu entfliehen.

 

Anna Liebel-Monninger – Autorin und frühe Sympathisantin rechter Ideologie

Die Autorin Anna Liebel-Monninger stammt aus einer angesehenen bürgerlichen Familie Nürnbergs, die am Maxplatz 44 eine Druckerei besaß. Ihr Vater Friedrich Monninger hatte den Betrieb gegründet und gab auch die Nürnberger Stadtzeitung heraus. Die 1869 geborene Anna Liebel-Monninger veröffentlichte im Kaiserreich Romane, Erzählungen, Novellen und Gedichte und betätigte sich nach dem Ersten Weltkrieg vor allem als Journalistin. Gemeinsam mit ihrem Mann Stefan Liebel engagierte sie sich schon früh in der völkischen Bewegung bei Gruppierungen wie Reichsflagge oder Altreichsflagge und trat 1931 der NSDAP bei. Ihr Sohn Willy Liebel, ebenfalls früh in der NSDAP aktiv, war ab 1933 Nürnberger Oberbürgermeister.

Die zum Zeitpunkt des Erscheinens von Gertrud wächst ins Dritte Reich bereits 73 Jahre alte Autorin hatte nach eigenen Angaben als Zielpublikum des Buches zunächst nur ihre Enkelkinder im Blick. Angeblich dachte sie ursprünglich nicht an eine Veröffentlichung, was aber wohl nur eine Schutzbehauptung war. Liebel-Monninger war nämlich kein Mitglied der Reichsschrifttumskammer, was sie umgehend nachholte. Denn ohne ihre Mitgliedschaft hätte das Buch eigentlich nicht erscheinen dürfen.

Nach der Selbsttötung ihres Sohnes Willy Liebel am 20. April 1945, dem Tag der Einnahme Nürnbergs durch amerikanische Truppen, lebte die Witwe in einem Rückgebäude ihres stark zerstörten Anwesens am Maxplatz 44. Als frühe Aktivistin der Nazi-Bewegung wurde sie im Spruchkammerverfahren 1948 dennoch nur als Mitläuferin eingestuft und kam mit einer Geldstrafe von 1000 Reichsmark davon. Sie starb 1951 im Alter von 82 Jahren.

Josef Sauer – ein linker Grafiker im Dritten Reich

Der Grafiker Josef Sauer aus Bamberg steuerte das farbige, mit seiner Signatur bezeichnete Titelbild und die Grafiken im Buch bei. Dies ist insofern überraschend, als Josef Sauer, betrachtet man sein sonstiges Werk, eher als Gegner der Nationalsozialisten und als kritischer Geist anzusehen ist. 1893 in Bamberg geboren, hat Josef Sauer an der Staatsschule für angewandte Kunst in Nürnberg bei Professor Max Körner studiert, der als einer der wenigen Professoren der Staatsschule zeitgenössischen Kunstströmungen nicht ablehnend gegenüberstand. Sauer war ab 1930 Mitarbeiter der berühmten Satirezeitschrift Simplicissimus und half, die Zeitschrift nach 1945 wieder zu gründen. Das Werk Josef Sauers vor 1933 erinnert an George Grosz und die Kunst der Neuen Sachlichkeit. Sein Aquarell Mann mit Puppe aus dem Jahr 1929 zeigt Sauer als qualitativ hochwertigen Grafiker auf der Höhe der Zeit, eine Karikatur in der Schweizer Zeitschrift Eulenspiegel weist ihn als Gegner des nationalsozialistischen Rassismus aus. 1932 bekam Sauer den Albrecht-Dürer-Preis der Stadt Nürnberg.

Das brave, blonde (arische) Mädel Gertrud auf dem Titelbild des Buchs von Anna Liebel-Monninger hat nichts mit den durchaus sozialkritischen Bildern und Karikaturen Sauers vor 1933 und den humoristisch-satirischen Beiträgen im Simplicissimus nach 1945 zu tun. Sauer passte sich an und lieferte in der Zeit des Nationalsozialismus meist heimatlich gefärbte, harmlose und scheinbar unpolitische Grafiken, die aber zu den Kunstauffassungen des neuen Regimes passten. Sauer zeichnete auch die große Adlerskulptur mit Hakenkreuz in der Luitpoldarena. Selbst sein Lehrer Max Körner stellte sich nach 1933 in den Dienst des neuen Regimes und gestaltete u.a. Hakenkreuzmosaiken in der Nürnberger SS-Kaserne.
Josef Sauer starb als ein bekannter Zeichner der Bundesrepublik 1967 in München.

 

 

Aus der Zeit gefallen – ein Buch über die Parteitage mitten im Krieg

Man könnte eigentlich denken, dass Gertrud wächst ins Dritte Reich zu Zeiten der Reichsparteitage erschienen wäre, mit Blick auf das Großereignis als gute Verkaufsmöglichkeit. Überraschenderweise wurde das Buch aber erst im Jahr 1942 veröffentlicht.

So ist die Geschichte von Gertrud vor allem eine rührselige Erinnerung an vermeintlich große und bessere Zeiten: 1942 geht der Krieg gegen die Sowjetunion ins zweite Jahr, die Wehrmacht ist vor Moskau erstmals geschlagen und seit der Winterschlacht 1941/42 im Osten auf dem Rückzug. Reichsparteitage finden schon seit Jahren nicht mehr statt, die Männer sind im Krieg. Gertrud wächst ins Dritte Reich ist damit klassische Ablenkungsliteratur, welche die zunehmend bedrohliche Realität des Krieges ein Stück weit vergessen lassen soll. Bezeichnenderweise hat die zweite Auflage des Buchs aus dem Jahr 1943, nach der deutschen Niederlage von Stalingrad, den kämpferischen Titel Gertrud, ein Wille und ein Weg.

Das Buch hat ein optimistisches Ende: Man plant eine Doppelhochzeit der beiden Freundinnen Gertrud und Erika mit zwei nationalsozialistisch gesinnten Männern, während noch die Heil-Rufe des Reichsparteitages zu hören sind. Vor dem zeitgeschichtlichen Hintergrund des Kriegs im Osten wirkt der Schluss des Buches vollkommen anachronistisch:

"Auf dem Wege, den der Führer mit seinen Getreuen nimmt, bilden sich neue Gruppen. Ihr vielfach begeistertes 'Heil! Heil!' dringt herauf durch die offenen Fenster in Gertrudes Wohnung.
Es klingt den beiden jungen Paaren wie ein verheißendes Omen für die Zukunft."

Das Buch wurde zusammen mit vielen weiteren Bänden aus einer Fürther Privatbibliothek dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände als Schenkung übergeben.

Quellenhinweise und zum Weiterlesen:
Matthias Klaus Braun: Hitlers liebster Bürgermeister: Willy Liebel (1897-1945), Nürnberg 2012, S. 519 f.
Martin Levec/ Helmer von Lützelburg: Sauer macht lustig. Der Maler und Zeichner Josef Sauer im Simplicissimus, München 2007

Die zweite Auflage des Buches ist komplett im Internet abrufbar:
Internet Archive

Reihe "Ans Licht geholt – aus der Sammlung des Dokumentationszentrums"

Text und Recherche: Alexander Schmidt (mit Hinweisen von Matthias Klaus Braun)
28.05.2020
Textlizenz: CC BY SA 4.0
© Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

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