- Künstler:
Wenzel Jamnitzer, Nürnberg; Pierre Reymond, Limoges
- Datierung:
Deckelschalen: 1553-1560; Becken: 1558; Präsentierschalen: 1561; Kanne: 1562
- Material:
Kupfer, emailliert; Silber, vergoldet
- Eigentümer:
Leihgabe der Tucher'schen Kulturstiftung
Bedeutendstes deutsches Tafelservice der Renaissance
Das im Nürnberger Museum Tucherschloss verwahrte sogenannte Tucher'sche Tafelservice gilt in der Fachwissenschaft als das bedeutendste, geschlossen überlieferte Exemplar seiner Gattung in Deutschland. Es handelt sich dabei um eine achtteilige Tafelgarnitur, die aus offenen Präsentiertellern, mit Deckeln versehenen Konfektschalen sowie einer Weinkanne über einem Becken besteht.
Man kann sich vorstellen, welchen Eindruck dieses Service auf Gäste der Familie Tucher gemacht haben muss, die nach einem aus mehreren Gängen bestehenden Festessen mit diesem Ensemble überrascht worden sind.
Der im Stadtarchiv Nürnberg elektronisch erfasste Briefwechsels der älteren Linie der Familie Tucher beweist, dass man im 16. Jahrhundert regelmäßig Konfekt, Konfitüre, Quittenmus, Feigen aus Marseille, Südweine aller Sorten - darunter auch "Schattonier", also Chardonnay - nach Nürnberg importiert hat. Das Tucher-Service bildete die geeignete Fassung für die Präsentation dieser ausgesuchten Köstlichkeiten.
Die Entstehung des Tucher'schen Tafelservice
Der Nürnberger Ratsherr und Handelsmann Linhart II. Tucher (1487-1568) ließ vom bedeutendsten Nürnberger Goldschmied Wenzel Jamnitzer (1507-1585) etliche Kupfergegenstände anfertigen, die im französischen Limoges durch den ebenso berühmten Künstler Pierre Reymond (um 1513- nach 1584) mit Emaillemalerei versehen wurden. Damit wurden einige früher schon nach Nürnberg importierte Stücke zu einem repräsentativen Service vervollständigt.
Auslöser für diese Entscheidung war der hiesige Schreib- und Rechenmeister Johann Neudörfer, der die älteren Kunstwerke bei Linhart Tucher gesehen und diesen durch einen schriftlichen Hinweis auf die Idee gebracht hatte, weitere Elemente anfertigen zu lassen. Da man in Nürnberg zunächst nicht wissen konnte, wie das Kupfer für die Bemalung mit Emaille vorzubereiten war, kam es zu einer Verzögerung. Hierüber enthält ein Brief von Herdegen IV. Tucher (1533-1614), der für seinen Vater Linhart II. damals in der Tucher'schen Handelsniederlassung in Lyon tätig war, entscheidende Informationen.
Das Rätsel der dargestellten Themen
Die Emaillemalerei in Blaugrau, Schwarz und Weiß besteht aus grotesken Verzierungen und Ranken sowie aus figürlich-szenischen Darstellungen. War schon die Entstehungsgeschichte des Tucher-Services bislang ungeklärt, so stieß das Nebeneinander der dargestellten Themen erst recht auf Verständnisschwierigkeiten: Was hat die Geschichte des Sündenfalls von Adam und Eva aus dem Alten Testament mit der Hochzeit von Amor und Psyche aus den Metamorphosen des heidnischen Autors Apulejus zu tun? Hat etwa ein Kaufmann einfach wahllos irgendwelche Geschichten miteinander kombinieren lassen? Oder steckt hier zeittypisch raffiniertes Ideenkonstrukt dahinter, das man freilich - nicht zuletzt Dank der jahrzehntelang aufrecht erhaltenen Behauptung des "ständigen Niedergangs der Reichsstadt Nürnberg" - einem Nürnberger eher doch nicht zutrauen sollte?
Im Dezember 2008 veröffentlichte der Nürnberger Kunsthistoriker Helge Weingärtner in den Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg die bislang neuesten Forschungsergebnisse zum Tafelservice. Die dort publizierten Beobachtungen ergaben vor allem, dass die Interpretation eines Objektes wie des vorliegenden ohne genaue Begutachtung des Originals die alten, jahrzehntelang tradierten Irrtümer weiter bestehen lassen würde.
Wenzel Jamnitzer – Meistergoldschmied aus Nürnberg
Der Wiener Goldschmiedegeselle Wenzel Jamnitzer (1507-1585) wanderte in den 1520er Jahren zielstrebig nach Franken aus. Seine Destination war klar: die sich damals im Glanz der Kaiserempfänge sonnende und in politischer, wirtschaftlicher und künstlerischer Hinsicht blühende Reichsstadt Nürnberg. 1534 wurde Wenzel Jamnitzer in Nürnberg Meister und heiratete im gleichen Jahr Anna Braunreuchin, die ihm elf Kinder schenkte. Im Jamnitzerhaus in der Zisselgasse (heute Albrecht-Dürer-Straße 17) hat er fast 50 Jahre gelebt und mit seinem Bruder Albrecht und seinen Schwiegersöhnen eine Goldschmiedewerkstatt betrieben.
Wenzel Jamnitzer galt als einer der führenden Goldschmiede und Ornamentstecher seiner Zeit und schuf repräsentative Goldschmiedearbeiten für die bedeutendsten Auftraggeber: Kaiser, Könige und Kirchenfürsten. Auch die kostbare Tuchersche Tafelgarnitur gehört in die Reihe der vor allem für Repräsentationszwecke geschaffenen Kunstobjekte. Daneben betätigte sich Jamnitzer wissenschaftlich auf dem Gebiet der angewandten Mathematik, Physik, Mechanik, Perspektive und Optik. Seine Arbeiten waren so berühmt, dass sie bereits zu seinen Lebzeiten oft gefälscht wurden.
Erkennungszeichen für Originalwerke Jamnitzers ist sein Meisterzeichen: ein winziges "W" über einem Löwenkopf.
Text: Ulrike Berninger M.A., Helge Weingärtner M.A.
Um die Tucher'schen Sammlungen für die interessierte Allgemeinheit öffentlich und so auch der wissenschaftlichen Forschung bekannt zu machen, hat die Tucher'sche Kulturstiftung das Projekt "Die Tucher. Eine Nürnberger Patrizierfamilie und ihre Sammlungen" initiiert und mit erheblicher finanzieller Beteiligung auf den Weg gebracht. Die Tucher'schen Familienschätze werden seit Ende 2019 sukzessive in bavarikon, dem von der Bayerischen Staatsbibliothek betreuten digitalen Portal zur Präsentation von Kunst-, Kultur- und Wissensschätzen aus Einrichtungen in Bayern, publiziert.
Weitere Informationen und hochauflösende Fotos zu allen Einzelteilen des Tucher'schen Tafelservices auf bavarikon