Von klein auf zum Kaufmann bestimmt
Der Lebensweg von Linhart (Leonhard) II. Tucher (1487-1568), einem der wichtigsten Vertreter – nicht nur des 16. Jahrhunderts – der bedeutenden Nürnberger Patrizierfamilie, war im Grunde schon von klein auf vorgezeichnet. Als Sohn des berühmten Nürnberger Fernhandelskaufmanns und Politikers Anton II. Tucher (1457-1525) und dessen Frau Anna Reich war auch Linhart für den Beruf des Kaufmanns bestimmt. Ab 1501 musste der Vierzehnjährige in Lyon, dem wichtigsten Handelsstützpunkt der Tucherschen Handelsgesellschaft, seine Ausbildung antreten. Bereits drei Jahre später trat er 1504 in die väterliche Firma ein. In deren Auftrag führten ihn Geschäftsreisen nach Italien, Frankreich und in die Niederlande. Spätestens ab 1507 leitete Linhart im Namen seines Vaters und zusammen mit dessen Vettern Hans IX. und Martin I. das Familienunternehmen.
Die "Tucherisch Compagnia" sollte unter der gemeinsamen Führung von Linhart und seinem Vetter Lorenz II. (1490-1554), dem Erbauer des Tucherschlosses in der Hirschelgasse, die größte Blüte erleben.
Beispielhafte Karriere als Politiker
Spätestens ab 1512 war Linhart als Genannter des Größeren Rats politisch tätig. 1529 wurde er anstelle seines Onkels Martin I. in den Inneren Rat gewählt, dem er bis 1565 angehörte. Dabei durchlief er die Ämter Junger Bürgermeister 1530, Alter Bürgermeister 1531-1532, Septemvir 1533-1535, Zweiter Losunger 1536-1544. Als Vorderster Losunger (Oberbürgermeister) hat er von 1544-1564 die politische Spitzenstellung in der Reichsstadt inne. Ab 1535 war er zudem Pfleger des Augustinerinnenkloster Pillenreuth und 1535/36 des Almosenkastens. 1544 wurde er als Vorderster Losunger zugleich Pfleger des Heilig-Geist-Spitals. Aus "Altersschwachheit" trat er 1565 aus dem Inneren Rat aus. Linhart II. war nach seinem Großvater Anton I. und seinem Vater Anton II. der dritte Vorderster Losunger aus dem Hause Tucher in direkter Generationenfolge. Mit seinem Scharfsinn bestimmte er maßgeblich die Nürnberger Politik in den Auseinandersetzungen um die Augsburger Konfession und im Schmalkaldischen Bund sowie mit Markgraf Albrecht Alcibiades (1522-1557) von Brandenburg und im Zweiten Markgrafenkrieg.
Kenntnisreicher Auftraggeber
Auch als humanistisch gebildeter Auftraggeber wertvoller Kunstobjekte machte Linhart II. von sich reden. So stand er u.a. im regelmäßigen Austausch mit dem einflussreichen Nürnberger Schrift- und Rechenmeister Johann Neudörffer (1497-1563), den er zum Lehrer seiner Kinder engagierte und der ihn möglicherweise beriet.
Anlässlich der prunkvollen Hochzeit seines sechsten Sohnes Herdegen IV. (1533-1614) mit der Patriziertochter Katharina Pfinzing 1564 gab er beim berühmtesten Goldschmied seiner Zeit, Wenzel Jamnitzer, nicht nur eine feuervergoldete Doppelscheuer (Doppelpokal) in Auftrag, sondern ein "länderübergreifendes" künstlerisches Gemeinschaftswerk: das kostbare achtteilige "Tucher'sche Tafelservice" von Jamnitzer und Pierre Reymond, Vorstand der damals bedeutendsten Emaillemalerwerkstatt im französischen Limoges. Die herausragenden Kunstwerke sind heute im Museum Tucherschloss zu bewundern.
Strenger Familienpatriarch
Am 26. Januar 1512 heiratete Linhart II. Magdalena, die Tochter des Nürnberger Patriziers Ortolf Stromer d. Ä. und der Katharina Harsdörffer. Mit ihr zeugte er 4 Kinder. Nachdem seine erste Frau am 7. Juli 1520 verstorben war, nahm Linhart am 7. Oktober 1522 Katharina, die Tochter des Nürnberger Patriziers und Losungers Caspar Nützel und der Klara Held. Aus dieser Ehe gingen nochmals 15 Kinder hervor: 12 Söhne und 3 Töchter.
Alle überlebenden 7 Söhne wurden ihrerseits im Ausland ausgebildet und traten als Angestellte oder Teilhaber in die Familienfirma ein. Von ihren jeweiligen Einsatzorten aus hatten sie – selbst noch als erwachsene und bereits erprobte Kaufleute – dem autoritären Vater regelmäßig zu berichten, Rede und Antwort zu stehen und erhielten Ermahnung, Tadel, Ratschläge und Hilfestellungen.
Linhart II. galt als "rechtschaffen, fleißig und gottesfürchtig". Von seinem Vater hatte er den Stammsitz ("Haus zur Krone") am Heumarkt, dem heutigen Theresienplatz, geerbt, den er umbauen und erweitern ließ. Er starb am 13. März 1568 im Alter von 81 Jahren und ist auf dem Johannisfriedhof begraben. Testamentarisch vermachte er der Dr.-Lorenz-Tucher-Stiftung, der er in der Nachfolge Martins I. zwischen 1528 und 1565 als Administrator vorstand, 100 Gulden.
Text: Ulrike Berninger M.A.