Schaustück des Monats Oktober 2014:
Reisekultur der Romantik
Bayerische Postkutsche vor dem Neutor in Nürnberg
In der beliebten Veranstaltungsreihe "Schaustück des Monats" stellen Ihnen die Museen der Stadt Nürnberg während ca. 30-60 minütiger Spezialführungen besondere Exponate aus dem Besitz der Stadt Nürnberg vor.
Dominika Kolodziej M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin bei den Kunstsammlungen der Stadt Nürnberg, wird als "Oktober-Schaustück" eines der berühmtesten Nürnberger Kunstwerke der Biedermeierzeit vorstellen: das Ölgemälde "Bayerische Postkutsche vor dem Neutor in Nürnberg", das der bedeutende Maler und Kupferstecher Johann Adam Klein (1792-1875) im Jahre 1823 schuf.
Postkutsche versus Eisenbahn
Die von Pferden gezogene Postkutsche dient bis ins frühe 20. Jahrhundert zur Beförderung von Postsendungen und Personen. Seit 1750 setzt sie sich als wichtigstes Transportmittel des Überlandverkehrs durch: Mit einer Geschwindigkeit von etwa zehn bis vierzehn Kilometern pro Stunde legt sie am Tag bis zu hundert Kilometer zurück. Die stundenlange Fahrt auf schlechten Straßen und das Sitzen auf harten Holzbänken machen die Reise für den Fahrgast, der nur beim Wechsel der Pferde zur Ruhe kommt, zur Strapaze.
Als 1835 die erste Eisenbahnstrecke von Fürth nach Nürnberg eingeführt wird, bekommt die Postkutsche starke Konkurrenz. Mit 28 Kilometern pro Stunde ist die Dampflokomotive "Adler" doppelt so schnell. Der Ausbau der Bahnstrecken nimmt in den folgenden Jahren rasant zu, und die Fahrt mit der Eisenbahn rechnet sich besonders bei Fernreisen. Der Passagier spart nicht nur Zeit, sondern auch die Kosten für teure Übernachtungen, Mahlzeiten und Trinkgelder. Trotzdem besteht die Postkutsche weiterhin neben der Eisenbahn und wird besonders im Nahverkehr eingesetzt. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wird sie endgültig durch das Automobil verdrängt. Am 31. März 1922 hat die Postkutsche in Nürnberg ihren letzten Einsatz.
Eine junge Frau auf Reisen
Von all den Strapazen, die das Reisen jener Zeit mit sich bringt, zeigt das Werk von Johann Adam Klein keine Spur. Der Betrachter blickt von einem leicht erhöhten Standpunkt aus auf ein idyllisches Bildgeschehen. Die raffiniert durch Licht und Schatten modellierte Kutsche mit bayerischem Wappen wird – angetrieben durch ein Gespann von vier Pferden – augenblicklich Richtung Bamberg passieren.
In der Bildmitte befindet sich auf einem Schimmel der peitschenschwingende Postillon. Er trägt eine helle Hose mit blauem Rock und einen Zylinder mit Federbusch in den bayerischen Landesfarben Weiß-Blau. Im Fenster der Kutsche erscheint die Gestalt einer jungen Frau; gekleidet in einen roten Mantel mit Spitzenkragen und mit einer Schleife aus den Bändern der Schute unter dem Kinn, blickt sie auf einen Reiter, der in ein Gespräch mit einem Bauern vertieft ist. Die Männer stehen mit einem Kalb und einem Hund in der schattigen rechten Bildecke – ein Trick, um die Tiefenraumwirkung zu verstärken. Im Hintergrund wird die Stadt Nürnberg von Nordwesten her sichtbar.
Das wuchtige Neutor, dessen linke Hälfte im Schatten aufziehender Wolken liegt, ragt hoch in den Himmel empor. Dahinter, durch die blasse Farbgebung in den Hintergrund tretend, erkennt man das Spittlertor und die Kuppel der Elisabethkirche.
Nürnberg – beliebtes Reiseziel im 19. Jahrhundert
Anfang des 19. Jahrhunderts setzt eine Reisewelle von kunstinteressierten Bürgern, Adeligen und Studenten ein, die in erster Linie zum Vergnügen reisen. Diese neu entwickelte Form des Reisens hat ihre Wurzeln in den sogenannten Kavalierstouren, die junge adelige Männer als Teil ihrer Ausbildung seit Mitte des 16. Jahrhunderts bis ins frühe 19. Jahrhundert unternehmen.
Nürnberg ist nach den Befreiungskriegen (1813-1815) ein beliebtes Reiseziel: Gut erreichbar und mit touristenfreundlichen Herbergen ausgestattet, stehen dem Voyageur des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Reiseführern zur Verfügung, um seinen Aufenthalt individuell planen zu können. So erlebt auch die Nürnberger Bratwurst ihre Entdeckung. Die Begeisterung der Touristen für die sieben bis neun Zentimeter lange Delikatesse spiegelt sich in den Gästebüchern des "Bratwurstglöckleins", der ältesten Bratwurstküche Nürnbergs, wider.