500 Jahre Sebaldusgrab – Spuren des Stadtpatrons

Programm der Dürer-Vorträge 2019

Sebaldusgrab, Detail: Herkules. Bildnachweis: Theo Noll

Dr. Thomas Schauerte

Das Sebaldusgrab und sein humanistisches Umfeld

Was die Literatur des ausgehenden 15. Jahrhunderts vorgab, fand mehr und mehr auch in die Bildenden Künste Eingang: Die Heranziehung der Kultur der Klassischen Antike zur Verherrlichung Gottes, Mariens und der Heiligen. Der berühmte Humanist Konrad Celtis (1459–1508) hatte es mit seinem "Hymnus Sapphicus ad vitam Sancti Sebaldi" 1495 vorexerziert, und durch seine enge Zusammenarbeit mit Albrecht Dürer fand diese neue, moderne Vermittlungsästhetik in Nürnberg besonders früh Eingang in die Kunst, wie bereits die ersten Holzschnitte von dessen "Marienleben" kurz nach 1500 zeigen. Davon blieben auch die Vischer-Werkstatt und ihr Langzeitprojekt des Sebaldusgrabes nicht unberührt. So konnte es dazu kommen, dass am bedeutendsten vorreformatorischen Bronzewerk im Reich Hercules und die römischen virtutes mit der Legende des Hl. Sebaldus und den zwölf Aposteln eine einzigartige Koexistenz eingegangen sind. Diese Entwicklung soll der Vortrag in Gegenüberstellung von Text- und Bildbeispielen in seinen wesentlichen Zügen nachzeichnen.

Dr. Thomas Schauerte ist Direktor der Museen der Stadt Aschaffenburg.

Das Willibalddenkmal im Eichstätter Dom. Bildnachweis: Janina Baumbauer

Dr. Benno Baumbauer

Sakralität – Historizität – Konkurrenz:
Neukonzeptionen von Heiligengräbern um 1500

Für die künstlerische Ausgestaltung von Heiligengräbern ist charakteristisch, dass sie im Lauf der Jahrhunderte immer wieder ausgebaut bzw. überformt wurden. Dabei zerstörte man nicht leichtfertig, was vorangegangene Generationen hinzugefügt hatten, denn durch die unmittelbare Nähe zu den heiligen Gebeinen erhielten auch die zugehörigen Denkmäler eine sakrale Aufladung. Entsprechend wurden die älteren Bestandteile nicht selten in die Neukonzeption einbezogen, oder die Erinnerung an historische Zustände der Grabanlage wurde anderweitig visuell wachgehalten. Diese Phänomene sollen anhand ausgewählter Heiligengräber der Zeit um 1500 beleuchtet werden. Eine besondere Rolle nehmen dabei das Kaisergrab im Bamberger Dom und das Willibalddenkmal im Eichstätter Dom ein, die zu Recht als künstlerische Konkurrenzprojekte zum Sebaldusgrab gesehen werden.

Dr. Benno Baumbauer forscht zur Kunst und Repräsentation gesellschaftlicher Eliten des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Derzeit kuratiert er die Ausstellung "Michael Wolgemut – mehr als Dürers Lehrer" der Museen der Stadt Nürnberg.

Sebaldusgrab: Der Heilige Sebaldus aus dem Relief der Blindenheilung. Bildnachweis: Theo Noll

Prof. Dr. Franz Machilek

Person des Hl. Sebaldus im Wandel der Zeit

Bei der Anfang der siebziger Jahre des 11. Jahrhunderts in mehreren chronikalischen Quellen belegten Person namens Sebald handelt es sich wohl um einen in der Umgebung der zwei Jahrzehnte zuvor erstmals urkundlich erwähnten Reichsburg und Siedlung Nürnberg als begeisternder Vertreter der damaligen religiösen Erweckungsbewegung wirkenden und durch Krankenheilungen über Franken hinaus bekanntgewordenen Geistlichen unbekannter Herkunft. Der möglicherweise in Poppenreuth – dem damaligen Sitz der für Nürnberg zuständigen Pfarrei – verstorbene Sebald wurde in der wohl von ihm selbst gestifteten Peterskapelle unterhalb der Burg beigesetzt und genoss wegen seines heiligmäßigen Lebens rasch besondere Verehrung; als Stifter galt er ohnehin als "Semiheiliger". Die Königs- und Reichsstadt Nürnberg, die ihr Aufblühen früh mit seiner Person verband, förderte den kirchlichen und liturgischen Kult und errichtete im 13. Jahrhundert im Zuge der Verlegung der Pfarreirechte von Poppenreuth nach Nürnberg an Stelle der Peterskapelle nach dem Vorbild des Bamberger Doms die monumentale dreischiffige Pfarrkirche der nördlich der Pegnitz gelegenen Stadthälfte. Erstmals 1255 erscheint diese Kirche auch unter dem Patrozinium St. Sebalds, das in der Folgezeit an die erste Stelle rückte. Der reichsstädtische Rat erreichte 1425 in Rom Sebalds offizielle Heiligsprechung und erhob ihn zum Stadtpatron. In den in großer Zahl überlieferten Legenden wird er auch als Zeitgenosse des Eichstätter Diözesanpatrons St. Willibald bezeichnet, in der Kanonisationsbulle Papst Martins V. sogar als dänischer Königssohn. Heute bildet die Pfarrkirche St. Sebald mit dem prachtvollen Grabmal Peter Vischers des Älteren ein Zentrum christlicher Frömmigkeit in Nürnberg.

Prof. Dr. Franz Machilek ist em. Professor für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften der Universität Bamberg.

Sebaldusgrab, Ostseite. Bildnachweis: Dorothea Diemer

PD Dr. Dorothea Diemer

Anmerkungen zu den Planungsstadien des Sebaldusgrabs

Seit zwei Jahrhunderten ist das Sebaldusgrab im Kanon der Kunst in Deutschland fest verankert, die Zahl der Beiträge zu diesem Werk, kunsthistorische wie theologische, ist unübersichtlich groß geworden. Und trotzdem, so scheint mir, hat man ganz einfache Fragen zu seiner Planung und materiellen Entstehung noch gar nicht gestellt. Meine Überlegungen dazu werden vom Bronzebauwerk, wie es vor uns steht, ausgehen müssen, denn es gibt bisher keine technischen Untersuchungen. Deshalb werden sie vermutlich kein einheitliches Modell, keine "Lösung" der Fragen bieten können; ihr Ziel ist es vorerst nur, den Blick zu schärfen für noch offene Fragen zur Architektur des Sebaldusgrabs.

PD Dr. Dorothea Diemer lehrte 2005–2015 Kunstgeschichte an der Universität Augsburg. Ihre Spezialgebiete sind Bronzeplastik des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, mittelalterliche Skulptur, höfische Kunst und Sammlungsgeschichte der Frühen Neuzeit in Süddeutschland.

Statuette Peter Vischers d. Ä. am Sebaldusgrab, Detail. Bildnachweis: Theo Noll

PD Dr. Manuel Teget-Welz

Peter Vischer und Söhne.
Organisation und Produktion bis 1519

Das 1519 als Bronzeguss vollendete Sebaldusgrab ist durch Signaturen und zahlreiche weitere Schriftquellen als Werk des Nürnberger Rotschmieds Peter Vischer d. Ä. und seiner Söhne – insbesondere Hermann, Peter d. J. und Hans – belegt. Wie der Schreib- und Rechenmeister Johann Neudörffer bezeugt, standen Mitteleuropas Fürsten bei Meister Peter d. Ä. Schlange, um sich ihre Grabmäler fertigen zu lassen; selbst Kaiser Maximilian I. gehörte zu den Kunden. Die Werkstatt umfasste drei Häuser am Katharinengraben, hier sollen auch die Söhne gewohnt haben. Der Vortrag will die Struktur der Rotschmiedewerkstatt untersuchen. Gab es Spezialisierungen bei den einzelnen Arbeitskräften? Wem kam welche Aufgabe beim Sebaldusgrab zu, welche Rationalisierungstendenzen bei der Produktion lassen sich am Objekt ablesen? Warum verzögerte sich die Ausführung des Monuments, so dass sich der Nürnberger Rat zum Eingriff gezwungen sah? Und welche Rolle könnte bei dem Großprojekt Probst Melchior Pfinzing von St. Sebald gespielt haben?

PD Dr. Manuel Teget-Welz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kunstgeschichte der FAU Erlangen-Nürnberg und Kurator der Sonderausstellung "Michael Wolgemut – mehr als Dürers Lehrer".

H. v. C.: Ein großer Meister und sein größtes Werk. In: Die Gartenlaube 32 (1867), 501.

Jacqueline Klusik-Eckert M. A.

Das Sebaldusgrab im 19. Jahrhundert.
Zwischen Künstlerdenkmal und verklärtem Rückblick

Während an anderen Orten im 19. Jahrhundert neue Denkmäler errichtet werden, erfährt in Nürnberg ein bereits vorhandenes Kunstwerk einfach eine Umwidmung. Aus einem kostbaren Gehäuse zum Schutz der Gebeine des Stadtpatrons wird kurzerhand ein Monument für die altdeutsche Kunst und gleichsam ein Denkmal für den Bronzegießer Peter Vischer d. Ä. Dieser Bedeutungswandel wird vor allem durch Literaten und Künstler vorangetrieben, die bei ihren Reisen in die Noris nicht müde werden, sich in das Mittelalter zu träumen. Der Besuch des Grabmals gehörte dabei zum festen Programm. Der Vortrag beleuchtet die zeitgenössischen Berichte über das Werk und die Darstellungsarten des Grabmals, um die unterschiedlichen Aufladungen aufzeigen zu können, die es im Laufe des Jahrhunderts erfahren hat. Die Bandbreite reicht von der einfachen Vorbildfunktion für neue Werke über die Rolle Nürnbergs als Schatzkästlein der deutschen Kunst. Doch auch Peter Vischer selbst blieb von den Umdeutungen nicht verschont. Geprägt durch einen anwachsenden Künstlerkult wird er zum Symbol des demütigen, aber geniehaften Künstlerhandwerkers, einem Ideal der Zeit.

Jacqueline Klusik-Eckert M. A. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kunstgeschichte und Koordinatorin des Interdisziplinären Zentrums für Digitale Geistes- und Sozialwissenschaften an der FAU Erlangen-Nürnberg.

Der geöffnete Sebaldusschrein. Bildnachweis: Kathrin Müller

Dr. Kathrin Müller

Bericht zu den aktuellen konservatorischen Maßnahmen am Sebaldusschrein

Das Grabmal von Peter Vischer, das dieses Jahr sein 500jähriges Jubiläum feiert, umfasst einen Reliquienschrein, der bereits aus dem 14. Jh. stammt. In diesem wiederum befinden sich zwei ebenso alte Laden, in denen in seidenen Säckchen die Reliquien des Stadtpatrons geborgen sind.

Die Siegel dieser Laden werden im Rahmen der regelmäßig stattfindenden Visitationen gebrochen. So auch in dem Festakt, der am Tag nach diesem Symposium folgt. Damit ergibt sich die Möglichkeit restauratorischer Untersuchungen und Konservierungsmaßnahmen, die durch Fachrestauratoren des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege und des Germanischen Nationalmuseums während des Festwochenendes durchgeführt werden.

Der Vortrag fasst die vorbereitenden Untersuchungen und erste Maßnahmen zusammen, die bereits im Vorfeld durchgeführt werden konnten, und gibt einen Ausblick auf die am Folgetag voraussichtlich zu erwartenden Geschehnisse.

Dr. Kathrin Müller ist als Gebietsreferentin für Praktische Bau- und Kunstdenkmalpflege am Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege u. a. für die Stadt Nürnberg zuständig.

Illustrierte Beilage der Bayerischen Volkszeitung vom 21. März 1925: Artikel über St. Sebald inkl. historischem Abriss über die Visitationen

Dr. Joachim Werz

Liturgische Feier oder traditionelle Bürokratie?
Ritualhistorische Beobachtungen und Perspektiven zur Öffnung des Sebaldusgrabes im Wandel der Jahrhunderte

Vor 500 Jahren wurde das Sebaldusgrab von Peter Vischer und Söhnen seiner Bestimmung übergeben: Die sterblichen Überreste des Schutzpatrons der Stadt Nürnberg sollten sicher verwahrt werden und erhielten hierfür einen zentralen Platz im liturgischen Raum der Kirche. Seitdem sich Räuber am Reliquiengrab des Heiligen zu schaffen machten, wurde in regelmäßigen Abständen die Vollständigkeit des Reliquienschatzes überprüft. Wie diese Visitationen des Sebaldusgrabes in den vergangenen Jahrhunderten begangen wurden, welche Transformationen dieses Ritual aufgrund der Einführung der Reformation nach lutherischem Bekenntnis im Jahr 1525 erfuhr und welche Herausforderungen sich heute im Zeitalter des friedlichen Miteinanders der Konfessionen für einen solchen Anlass stellen, soll historisch und liturgiewissenschaftlich analysiert werden.

Dr. Joachim Werz ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Eberhard Karls Universität Tübingen.

Sebaldusgrab, Sockelzone, Detail: Laute spielende Wollust mit Faunpärchen. Bildnachweis: Theo Noll

Prof. Dr. Gerhard Weilandt

Starke Männer, schöne Frauen und dazu spielt die Musik
Der Kampf der Tugenden und Laster am Sebaldusgrab

Das Sebaldusgrab verbindet uralte mittelalterliche Traditionen mit einem höchst ambitionierten und modernen Bildprogramm. So entstand das Hauptwerk der Renaissanceplastik in Deutschland – auch aufgrund seiner herausragenden künstlerischen Qualität. Das Bildprogramm konnte erst vor wenigen Jahren entschlüsselt werden. Ein Humanist, Pankraz Schwenter, lieferte die Anregung mit einer Geschichte des antiken Heroen Herkules, der sich im Widerstreit der Tugenden und Laster für den rechten Weg entscheidet – so wie der hl. Sebaldus, der als Eremit ein gottgewolltes Leben führte. Am Grab selbst sind die Kämpfe der Tugenden und Laster höchst drastisch dargestellt, in Gestalt von antiken Gottheiten, die anschaulich die enge Verbindung von mittelalterlichem Denken und Humanismus im Nürnberg um 1500 vor Augen führen. Der Künstler Peter Vischer steht dabei auf derselben Stufe wie der Heilige: Er hat sich durch seiner eigenen Hände Kraft einen Platz im Olymp der Künste erobert.

Prof. Dr. Gerhard Weilandt forscht und publiziert seit über 25 Jahren zur Geschichte und Kunstgeschichte Nürnbergs. 2007 erschien sein monumentales Buch zur Sebalduskirche. Er lehrt in Greifswald Kunstgeschichte und leitete mit mehreren Projektpartnern das Forschungsprojekt TOPORAZ, das zum Ziel hat, die Topographie der Nürnberger Altstadt zu erforschen und im digitalen Modell darzustellen.
www.toporaz.de