Programm der Dürer-Vorträge 2018
Prof. Dr. Hiram Kümper
Die bunte Welt des Tötens: aus Kriegskunst- und Ingenieurshandschriften der Dürer-Zeit
Die Jahrzehnte um 1500 sind die große Zeit der Renaissanceingenieure. Leonardo da Vinci zählt zu den berühmtesten Vertretern dieser Zunft – und auch er hat sich bekanntlich intensiv mit Kriegstechnik auseinandergesetzt. Aber er ist beileibe nicht der einzige! Aus der dynamischen Aufbruchsstimmung der Zeit, der Mischung aus Humanismus, Pragmatismus und offenbar jeder Menge Visionen entspringt ein besonderer Typus des gelehrten Ingenieurs mit Verbindungen zur Kunst, zur Literatur und nicht zuletzt zur Herrschaft. Es sind vielfach Entrepreneurs, Projektemacher, die sich mit den großen praktischen Herausforderungen ihrer Zeit befassen: mit Antrieb, Logistik und Verkehrswesen, mit Wasserbewirtschaftung – und nicht zuletzt eben auch mit Festungsbau und Kriegswesen. Denn diese dynamische ist auch eine höchst unruhige Zeit. Da verwundert es gar nicht, dass auch Dürer als Teil solcher Netzwerke aufscheint; nicht so sehr als Ingenieur im engeren Sinne, aber doch mit tiefem Technikverständnis und großem Interesse für die schöne, neue Welt der Maschinen und Gebrauchsarchitektur, die sich da auftut. – Ausgehend von einer bebilderten Nürnberger Wehrordnung aus dem 15. Jahrhundert führt der Vortrag entlang von Bilderhandschriften in diese Welt hinein. Dabei wird es nicht nur die großen, schmucken, außergewöhnlichen Werke zu bestaunen geben, sondern auch das Alltägliche – in Handschriften, die deutsche Fürsten, Stadtobrigkeiten oder Ratsleute in Auftrag gaben.
Prof. Dr. Hiram Kümper ist Professor für Geschichte des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit an der Universität Mannheim.
Dr. Gerald Volker Grimm
Messer, Dolch und Bauernwehr.
Alltagswaffen im Werk Albrecht Dürers
Albrecht Dürers Ruf als uomo universale geht auch auf sein intensives Studium von Kampftechnik, Bewaffnung und Schanzen zurück. Im Gegensatz zum Meisterstich „Ritter, Tod und Teufel“ wird sein großteils eigenhändiges Fechtbuch von 1512 (MS 26-232) selbst in der einzigen dem Thema Waffen und Rüstungen bei Dürer gewidmeten Monographie vernachlässigt, obwohl es das erste von einem berühmten Künstler geschaffene ist. Der Fokus liegt auf Waffen wie dem langen Messer und dem Dolch, die, im Alltag getragen, nicht als Bedrohung empfunden wurden. Anders als etwa in Lecküchners Messerfechtbuch oder dem von Dürer als Vorbild herangezogenen Codex Wallerstein zeigt der Nürnberger Maler neben Duellen auch typische Selbstverteidigungssituationen, also Figuren mit ungleichen Waffen bzw. Unbewaffnete im Kampf mit Bewaffneten. Messer und Dolch spielen im Fechtbuch eine große Rolle, doch die kürzere Form des Messers, die Bauernwehr, ist in Dürers Œuvre auf andere Darstellungen beschränkt. Anhand von erhaltenen Waffen wird gezeigt, in welchem Sinn Dürers Darstellungen das historische Sachgut realistisch wiedergeben.
Dr. Gerald Volker Grimm, Helene – Portal für Archäologie, Kunst- und Kulturvermittlung, ist freischaffender Kunsthistoriker und Archäologe.
Dr. Jeannet Hommers
Albrecht Dürers "Landschaft mit Kanone"
Waffentechnik – Natur – Kunst
Albrecht Dürers großformatige Eisenradierung "Landschaft mit Kanone" ("Die große Kanone") von 1518 gibt der kunsthistorischen Forschung bis heute einige Fragen auf: Die ältere Forschung hatte gemutmaßt, dass Dürer die Eisenradierung zur Abschreckung der Türken oder zur Mahnung gegen die Türkengefahr angefertigt habe, indem die Figuren am rechten Bildrand, die man übereinstimmend als Türken deutete, die neue Nürnberger Waffentechnik bewundern. Allerdings haben waffenhistorische Forschungen gezeigt, dass die "große Kanone" bestenfalls ein Geschütz mittleren Kalibers ist, das um 1518 bereits ins Zeughaus ausgelagert wurde. Doch warum sich Dürer, der profundes Wissen über Waffen und Rüstungen besaß, für die Darstellung eines ausrangierten, beinahe musealen Kriegsgerätes entschied, ist bislang ungeklärt. Dieser Frage soll im Rahmen des Vortrags nachgegangen werden und es soll gezeigt werden, dass Dürer in diesem Blatt seine Kenntnisse der Kriegs- und Waffentechnik zuvorderst nutzte, um künstlerische und kunsttheoretische Überlegungen zu verfolgen.
Dr. Jeannet Hommers ist Wissenschaftliche Assistentin am Kunsthistorischen Institut der Universität zu Köln.
Dr. Raphael Beuing
Völker und ihre Waffen bei Dürer und seinen Zeitgenossen
Albrecht Dürer setzt Waffen und Kleidung mit allergrößter Präzision ein, um ständische Unterschiede herauszuarbeiten, etwa zwischen einem Ritter und einem Landsknecht. Weniger beachtet wurde bislang, mit welchen Mitteln Dürer verschiedene Ethnien durch ihre Waffen zu charakterisieren versucht. Noch recht eindeutig liegt die Sache bei der Darstellung von Osmanen, deren Bildnisse sowohl von der Faszination für das Exotische künden als auch die Feinde des christlichen Abendlandes illustrieren können; sie sind freilich vor allem durch Turban und Gewand gekennzeichnet. Sodann aber umfasst der Triumphzug Kaiser Maximilians I. zum Beispiel böhmische, ungarische, welsche und französische Trophäen beziehungsweise – bei Albrecht Altdorfer – Trophäenwagen. Wieweit entsprechen die hier dargestellten Waffen der tatsächlichen, von Land zu Land vorgeblich verschiedenen Kriegsführung, oder sind sie nicht doch zu einem gewissen Grade typisiert? Wieweit reicht zugleich der mitteleuropäische Mainstream der Bewaffnung, mit denen die Künstler die verschiedenen Kämpfer ausstatten? Welche Unterschiede gibt es zwischen dem perfekt gerüsteten Maximilian und seinen befreundeten Turniergegnern von außerhalb des Heiligen Römischen Reiches? Und wieweit sollen die Waffen das Fremde, Bedrohliche und vielleicht auch Böse kennzeichnen?
Dr. Raphael Beuing ist Referent für Waffen, Uhren, wissenschaftliche Instrumente und unedle Metalle am Bayerischen Nationalmuseum in München.
Dr. Christof Metzger
Manta, Manta oder: Für wen geht Dürers "Reiter" eigentlich ins Rennen?
Es muss ein besonderer Anlass gewesen sein, der Dürer bewegte, das große, auf das Feinste in Feder und Aquarell ausgearbeitete Bild eines berittenen Kriegers festzuhalten und auch genau zu beschriften: In die deutsche Spätgotik führen uns die "Deutsche Schaller" und der grazile, geriefelte Harnisch des Reiters, an dessen Lanzenspitze der in der Forschung reichlich diskutierte Fuchsschwanz baumelt. In der Rückschau notierte Dürer neben das Jahr der Entstehung, 1498, dass dies "dy Rustung zw der Czeit im Tewtzschlant gewest" sei. Die Studie, auf die Dürer so große Mühe verwendet hatte, diente Jahre später als Behelf bei der Konzeption des Kupferstichs mit dem berittenen "Hl. Georg", bis der Reiter schließlich 1513 seinen großen Auftritt als einer der drei Protagonisten in "Ritter, Tod und Teufel" hatte. – In meinem Vortrag versuche ich die historische Legitimation des Harnischtypus' und seines Zubehörs zu liefern, die zugleich einen neuen Leseschlüssel für die in der Nachfolge entstandenen Graphiken bietet.
Dr. Christof Metzger ist Chefkurator der Albertina, Wien.