Beteiligte sich Speer an der Judenverfolgung?

Susanne Willems – Historikerin, Berlin

Historikerin Susanne Willems.

Susanne Willems beschäftigt sich mit Albert Speers Politik der Verelendung und zwangsweisen Umsiedlung der Berliner Juden und seiner Beteiligung am Ausbau von Auschwitz zur Drehscheibe eines europaweiten Sklavenarbeitsmarkts.

2002 ist ihre Studie Der entsiedelte Jude. Albert Speers Wohnungsmarktpolitik für den Berliner Hauptstadtbau, 2015 ihr Buch Auschwitz. Die Geschichte des Vernichtungslagers erschienen.

Beteiligte sich Speer an der Judenverfolgung?

Hitlers seit Jahren verfolgte Ideen für eine Umgestaltung Berlins münden 1937 in die Ernennung Albert Speers zum "Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt". Im Zentrum der künftigen "Welthauptstadt" sollen monumentale Repräsentations- und Verwaltungsgebäude sowie auffällige Prachtstraßen errichtet werden. Die bestehenden Strukturen der Innenstadt sollen nach diesen Planungen weitgehend aufgelöst, etwa 50.000 Häuser abgerissen und 150.000 Menschen umgesiedelt werden.

Im September 1938, noch vor dem Novemberpogrom, das die nationalsozialistische Judenpolitik radikalisierte, verknüpft Albert Speer seine Neugestaltungspläne mit eigenen Maßnahmen gegen die Berliner Juden. Um schnell neuen Wohnraum zu beschaffen, schlägt Speer vor, jüdische Berliner aus ihren "Großwohnungen" zwangsweise in zu errichtende "Kleinwohnungen" umzusiedeln. Die freiwerdenden Wohnungen sollen Mieter übernehmen, deren Wohnungen zum Abriss bestimmt sind. Realisiert wird dieser Plan vorerst nicht.

Infolge des Novemberpogroms 1938 flüchten auch aus Berlin Monat für Monat tausende jüdische Deutsche. Für deren Wohnungen sichert sich Speer das Erstvermietungsrecht, um Abrissmieter einzuquartieren. Vermieter müssen dafür diese Wohnungen melden. Ab 1941 kündigt Speers Behörde in verschiedenen "Aktionen" tausenden Juden die Wohnung. Sie müssen Quartier bei anderen Juden finden, im Behördenjargon als "Schachtelraum" bezeichnet.

Abrissmieter suchen sich aus Wohnungsangeboten, aufgeführt im gedruckten "Wohnungsnachweis", eine passende Ersatzwohnung aus, schließen mit dem Vermieter einen Mietvertrag und informieren die Neugestaltungsbehörde. Diese setzt daraufhin die Räumung der bis dahin ahnungslosen jüdischen Mieter in Gang.

Das Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden vom April 1939 gestattet es der Behörde Speers, in Berlin den gesamten von Juden gemieteten oder vermieteten Wohnraum zu erfassen. Begehrte Berliner Wohnlagen sieht Speer im Mai 1939 als "Judenreine Gebiete" vor. Langfristig sollten diese Bezirke "völlig judenfrei" gemacht werden. Bei Bedarf sollte gezielt dort lebenden Juden gekündigt und statt ihrer Abrissmieter untergebracht werden.

Im Oktober 1941 geht der erste Deportationszug mit über 1000 Juden aus Berlin ins Ghetto Łódz´. Die Erfassung des jüdischen Wohnraumes in Berlin durch die Neugestaltungsbehörde steht der Gestapo bei der Zusammenstellung der Deportationslisten zur Verfügung. Darüber hinaus profitiert Generalbauinspektor Speer vom Abtransport der jüdischen Berliner in Lager und Ghettos, da weiterer Wohnraum frei wird.

(Aus rechtlichen Gründen kann der Film leider nicht zur Verfügung gestellt werden, der Text wurde dem Katalog zur Ausstellung entnommen.)